Mitarbeitergespräche sollen in guter Absicht das Zusammenspiel von Führungskraft und Mitarbeitenden verbessern. Und doch sind sie oft nur krampfhafte Konversation ohne Mehrwert. Wann ist es ein Feedbackgespräch, wann doch bloß eine Beurteilung?
Das klassische jährliche Mitarbeitergespräch steht vielfach in der Kritik. Teilweise wird es als Gespräch deklariert, ohne echter Dialog zu sein. Teilweise versteckt sich hinter dem Feedback-Gespräch eine Leistungsbeurteilung.
Denn für ein Feedback, das auch kritische Aspekte enthält, sind Offenheit und Vertrauen essenziell. Das wiederum funktioniert, einmal jährlich angeordnet, nicht. Wenn zwei Menschen sich durch die Vorgaben gezwungen sehen, miteinander Persönliches zu besprechen und gleichzeitig ein Formular auf dem Tisch liegt, das möglicherweise negative Folgen für den Mitarbeitenden hat, schafft das wenig Vertrauen.
Je nach Konsequenz des Gesprächs fühlt sich der oder die Mitarbeitende in einer Verhandlungssituation, in der das Ziel ist, sich möglichst gut zu positionieren. Und dann geht es darum, zu glänzen und zu verkaufen, um die eigene Position zu stärken.
Echtes Feedback statt Vorschrift
Der Gedanke dahinter ist unstrittig: es ist wichtig, sich als Führungskraft mindestens einmal im Jahr die Zeit zu nehmen, um intensiv und abseits vom Daily Business über wichtige Themen zu sprechen. Das institutionalisierte Gespräch wird aber oft dadurch absurd, wenn es gefühlt nach dem Prinzip abläuft: „Wir sprechen jetzt miteinander, weil das die Vorgabe des Unternehmens ist bzw. die Personalabteilung es so will.“

Wenn ich die Gespräche nur brauche, damit die Personalabteilung einen Report für die Geschäftsführung erstellen kann, wird das Feedback zum Alibi und ist im schlimmsten Fall verlogen. Das gilt auch für das 360-Grad-Feedback, bei dem eine Mitarbeiterin nicht nur von der Führungskraft, sondern auch von anderen Mitarbeitenden oder Kunden beurteilt wird. Geht der Bericht an die Personalabteilung oder die Geschäftsführung, wirkt er automatisch als Bewertung. Echtes Feedback hingegen ist wertvoller Input für unsere Entwicklung – idealerweise geht dieses direkt an die Betroffenen.
Dann kann es dem oder der Mitarbeitenden Hinweise geben, besser zu werden. Als Instrument der Bewertung und Beurteilung passt es zwar zu einem hierarchischen System, aber weniger zu modernen Arbeitsformen.
Aus Sicht der Führungskraft
Viele Führungskräfte sehen sich heute nicht mehr als klassische Bosse, die über den Mitarbeitenden stehen, sondern als Teil ihres Teams. Für sie ist es unglaublich schwer, ein negatives Urteil über ihre Mitarbeitenden abzugeben. Damit würden sie zum Richter bzw. zur Richterin, und das ist kaum kompatibel mit ihrem Führungsverständnis. Sie schreiben nichts Negatives und versuchen, es der Personalabteilung recht zu machen. Außerdem scheuen sie negative Auswirkungen auf die Beziehung zu ihren Mitarbeitenden. Das führt zu inflationär vielen positiven Bewertungen.
Da wird es dann völlig absurd. Wer seine Beziehung zu den Mitarbeitern nicht gefährden will, steckt in der Zwickmühle oder wird sogar selbst schlechter bewertet, weil er oder sie die Quote nicht einhält. Wenn wir als Führungskraft merken, dass die Leistung eines Mitarbeitenden nachlässt, brauchen wir keine Klassifizierung als Minderleistender. Wirksame Führung heißt, dass wir das mit der Person besprechen, und zwar möglichst bald – nicht einmal im Jahr.
Wie aus einem Mitarbeitergespräch ein Mehrwert wird
Viele Unternehmen merken, welche Absurditäten sie da veranstalten. Wenn wir Personalmanager*innen fragen, was passieren würde, wenn man das Mitarbeitergespräch in der bisherigen Form einfach aufgäbe, lautet die Antwort meist: nichts. Manche Unternehmen gehen dazu über, dass sich die Mitarbeitenden gegenseitig Feedback geben. Man setzt sich einmal im Jahr im Team zusammen und bespricht, was man an den anderen gut oder schlecht findet. Das wird nicht als Urteil genutzt, sondern als ein Instrument, um gemeinsam zu lernen. Die Rolle der Personalabteilung ist es, die Teams dabei zu beraten.
Aber sollten wir das Mitarbeitergespräch wirklich aufgeben? Denn es steckt ja außer guter Absicht auch eine echte Chance in diesem wohlgleich zentral initiierten Anlass. Entkoppelt von der Bewertung der Arbeitsleistung des einen und der Führungsleistung des anderen können wir die nun mal freigeschaufelte Zeit selbstverantwortlich und wirksam nutzen.
Wir können einander im Gespräch den Vertrauensvorschuss schenken, dass unsere Wirkung auf die andere Person und die Entwicklung unserer Zusammenarbeit ernsthaft im beiderseitigen Interesse ist. Perfekt wird diese nie sein. Gerade deshalb lohnt es sich, mindestens einmal im Jahr innezuhalten und anzusprechen, was noch nicht rund läuft. Wenn uns dies gelingt, werden wir unsere „Zusammenarbeitsgespräche“ ganz freiwillig noch viel häufiger einfordern. Denn dann bringen sie tatsächlich einen Mehrwert.