Organisationen sind ein Nährborden für große Egos
Viele Menschen in Führungspositionen wollen einzigartig sein und suchen fortwährend die Bewunderung, Bestätigung und Anerkennung durch andere, um sich ihrer selbst sicher zu sein. Sie streben nach Kontrolle und Erfolg. Manchmal geht es so weit, dass sie wenig Rücksicht auf andere nehmen, was nicht nur die Beteiligten im Team, sondern die gesamte Organisation gefährden kann. In Frankreich werden Führungskräfte mit diesem Verhalten als „Petit Chef“ bezeichnet, kleine Chefs die sich größer machen wollen.
Aber wer sind diese „Petit Chefs“, warum tun sie das und wie kann ich vermeiden, selbst einer zu werden?
Portrait des „Petit Chefs“
Zwar hat jeder „Petit Chef“ seine eigenen Feinheiten und seine eigene Art, aber bestimmte Eigenschaften sind typisch:
Er ist autoritär und von Kontrolle geleitet. Der „Petit Chef“ muss sich selbst beruhigen, und das hat (zu) oft mit Mikromanagement zu tun: Er möchte alle E-Mails in Kopie erhalten, zu allen Treffen eingeladen werden, um alle Entscheidungen zu validieren. Damit nimmt er den Menschen die Eigenverantwortung und wird so zum Engpass seines Teams.
Er akzeptiert keine Fehler oder Kritik. Jeder Irrtum und jeder Fehler, wie unbedeutend er auch sein mag, wird als Fehlschlag angesehen. In ähnlicher Weise wird das Feedback von Mitarbeitenden als ein direkter Angriff, als eine Herausforderung an seine Fähigkeiten angesehen.
Er hört nicht hin. Aus Angst, in Frage gestellt zu werden, hat er kategorische Meinungen und lässt keinen Raum für die Meinungen und Perspektiven seiner Teammitglieder. Er trifft klare Entscheidungen, ohne andere Optionen oder Möglichkeiten auszuloten.
Er steuert Informationen. Das alte Sprichwort „Wissen ist Macht“ ist in ihm gut verankert. Der „Petit Chef“ will alles wissen und nichts teilen. Deshalb organisiert er lieber einzelne Meetings als Teambesprechungen, um die Hoheit der Informationen zu behalten.
Er ist nicht offen für neue Ideen und Initiativen. Die Standardantwort lautet „nein“ oder „wir werden später sehen“. Der „Petit Chef“ macht die Dinge gerne so, wie sie schon immer gemacht wurden, und hält sich streng an die Prozesse, die er perfekt zu beherrschen versteht.
Wie kann man es vermeiden ein „Petit Chef“ zu werden?
Ein „Petit Chef“ ist keineswegs ein schlechter Mensch, dessen einziges Ziel es ist, seinen Mitarbeitenden die Hölle heiß zu machen. Es ist oft eine Mischung aus Unerfahrenheit, Stress und Ego, die den Menschen so komplex machen. Ein „Petit Chef“ zu werden, ist ein unbewusster Vorgang. Er möchte alles im Griff behalten und verzeiht sich kaum Fehler. Wird dieser Person mehr Verantwortung, zum Beispiel als Führungskraft übergeben, behält sie die bisherigen Arbeitsweisen auch in der Rolle als Chef bei. Die auf sich selbst bezogene null Prozent Fehler-Quote ist nur mit viel Anstrengung möglich und somit als Verantwortlicher für mehrere Mitarbeitende eine Utopie. Aus diesem Zwang entwickelt sich dann ein übergriffiges Verhalten der Mitarbeitenden gegenüber. Um das „Petit Chef“ Verhalten zu ändern, oder erst gar keiner zu werden, können die folgenden Tipps behilflich sein.
Reflektion und Unterstützung
Eine junge Führungskraft fühlt sich verpflichtet, sich zu beweisen und Ergebnisse zu zeigen. Dies ist umso komplizierter, da sie nicht mehr nur nach ihrer eigenen Leistung beurteilt wird, sondern auch nach der Leistung eines Teams, welches sich nicht vollständig kontrollieren lässt. Der „Petit Chef“ wird kontrollierend, herrisch und übergriffig.
Um das zu vermeiden, geht es vor allem um die Reflektion der eigenen Verhaltensweisen. Wenn eine null Prozent Fehler-Quote gelebt wird, dann kann dies erkannt, losgelassen und im Zweifel Coaching oder Unterstützung zur Bearbeitung angefordert werden.
Weiterentwicklung
Die Arbeit einer Führungskraft ist nicht einfach eine Weiterentwicklung einer früheren Position. Um eine gute Führungskraft zu werden, müssen neue Fähigkeiten entwickelt werden. Es gibt Seminarangebote und Coachings zur Entwicklung von Soft Skills und zum Erlernen des Teammanagements. Ein anderer Ansatz ist es, Rat bei Kollegen und – Kolleginnen einzuholen oder einen Mentor zu finden, der begleitet und in anspruchsvollen Situationen unterstützt.
Mitarbeitende wertschätzen
Manche Führungskräfte brauchen mehrere Jahre, um zu erkennen, dass ihre Mitarbeitenden keine „Idioten“ sind, sondern dass sie einfach anders denken und funktionieren. Jeder Mitarbeitende hat eigene Motivationsquellen und Ziele, die persönliche Reaktionen, Arbeitsweisen oder Interaktionen hervorrufen. Als Führungskraft ist es unsere Rolle, die Rahmenbedingungen zu schaffen, damit das Team mit seinen unterschiedlichen Aufgaben und Charakteren erfolgreich sein kann.
Anstatt zu versuchen, die Teammitglieder nach unserem eigenen Bild zu formen – was sowohl zeitaufwendig als auch kompliziert ist – besteht die einfachste Lösung darin, zu versuchen, die Arbeitsweise der anderen zu respektieren und zu verstehen und dann den besten Kompromiss zu finden.
Unternehmen brauchen große Chefs
Für Unternehmen ist es wichtig, die Auswirkungen eines „Petit Chefs“ wahr- und ernst zu nehmen, da sein Verhalten die Stimmung und Ergebnisse des Teams stark beeinflussen kann.
Führungskräfte, die diese Verhaltenszüge an sich erkennen, können dem entgegenwirken, indem sie sich das Feedback ihrer Team-Kollegen einholen, andere aktiv um Rat fragen und ihren Mitarbeitenden Wertschätzung und Dank für deren Mitarbeit ausdrücken. Das macht demütig, schafft Augenhöhe und echte Zusammenarbeit. „Große Chefs“ sind großzügig im Umgang mit ihren Mitarbeitenden und legen den Fokus auf die gemeinsamen Resultate und Erfolge.