Kluge Entscheidungen zu treffen, ist eine Kunst für sich
Wir alle treffen jeden Tag unzählige Entscheidungen. Manchmal nehmen wir sie gar nicht bewusst wahr, manchmal fallen sie uns ganz leicht und manchmal rauben sie uns den Schlaf. Es gibt kein Modell, das uns dabei hilft, aus der Menge der Entscheidungsmöglichkeiten eine eindeutig „richtige“ herauszusuchen. Was wir aber tun können, ist uns unseren Prozess des Entscheidens genauer zu beleuchten. Dann können wir zumindest in einem gewissen Maße Störfaktoren ausblenden.
Wir können damit nicht sicherstellen, „richtige“ Entscheidungen zu treffen, aber wir können „kluge“ Entscheidungen treffen. Eine kluge Entscheidung beruht auf einer sorgfältig abgestimmten Koordination von Verstand, Erfahrung und Emotion. Die Kunst ist, zu verstehen, wie Entscheidungen funktionieren und diese Erkenntnis in unsere Entscheidungen einzubeziehen.
Nicht bei allen Entscheidungen ist das Bewusstsein involviert. Ob wir z.B. mit dem rechten oder dem linken Fuß zuerst aus dem Bett steigen, ob wir erst die Aktienkurse oder erst den Wetterbericht lesen – diese Dinge werden laufend geregelt ohne dass der Verstand nennenswert eingreift.
Koordination von Verstand, Erfahrung und Gefühl
Wir wollen im Folgenden Entscheidungssituationen betrachten, bei denen die Ratio sich an irgendeiner Stelle einschaltet, die aber trotzdem nicht frei von Emotionen sind. Insbesondere wollen wir uns auf Entscheidungen konzentrieren, bei denen die Erfahrung ins Spiel kommt. Solche Situationen gehören zum Alltag. Das Resultat der Entscheidung hat typischerweise Konsequenzen für uns selbst, für unsere Situation und manchmal für unser ganzes Umfeld.
Konsequenzenreiche Fragen
Beispiele dafür sind Fragen wie:
„Soll ich das Auto kaufen, das mir so gut gefällt, obwohl ich weiß, dass es im Vergleich nicht besonders günstig ist?“
„Soll ich die Versicherung mit dem guten Preis-Leistungs-Verhältnis abschließen, obwohl mir der Versicherungsvertreter wenig vertrauensvoll erscheint?“
„Soll ich den gut bezahlten Job annehmen oder mir meinen Traum von der Selbstständigkeit erfüllen?“
An derartigen Entscheidungen lässt das Gehirn uns teilhaben, indem es ihm das Für und Wider jeder Option zu Bewusstsein bringt – und dies manchmal so gründlich, dass das Abwägen uns den Schlaf rauben kann.
Die Basis von Entschei dungen sind Bewertungen
Aus der Psychologie wissen wir, dass die Basis von Entscheidungen immer Bewertungen sind. Ohne abgeschlossene Bewertung läuft gar nichts. Dafür hat das Gehirn zwei Systeme zur Auswahl. Zum einen den Verstand, zum anderen einen Teil des Gehirns, in dem Erfahrungen gespeichert sind.
„Kopf„-Entscheidungen
Die beiden Bewertungssysteme funktionieren grundverschieden. Der Verstand arbeitet langsam und gründlich. Er folgt den Gesetzen der Logik und der Rationalität. Bewertungen, die wir mit dem Verstand vornehmen, können mit Argumenten belegt werden. Rationale Entscheidungen brauchen Zeit, Aufmerksamkeit und Konzentration. Bei ihnen werden alle Argumente sorgfältig abgewogen.
Der Nachteil ist: Für Entscheidungen unter Zeitdruck oder aus einer Unsicherheit heraus sind diese Mechanismen zu langsam und schwerfällig. Und mit steigender Komplexität sind sie ab einem gewissen Punkt schlichtweg überfordert.
Erfahrungsgestützte Enscheidungen
Das Erfahrungsgedächtnis reagiert vergleichsweise schnell. Es schickt seine Bewertung innerhalb von 200 Millisekunden ohne Zutun des Bewusstseins in jeder Lebenslage – auch noch im totalen Erschöpfungszustand.
Der Nachteil ist: Diese Bewertungen tauchen nicht als präzise formulierte Argumente in unserem Bewusstsein auf, sondern als eher diffuse Signale.
Das Erfahrungsgedächtnis ist lange vor den Gehirnstrukturen entstanden, die wir Verstand nennen und konserviert Wissen in Form von Gefühlen und Körperempfindungen. Es beinhaltet eine umfassende Sammlung unserer gesamten Lebenserfahrung und ist daher ein Wissensspeicher von unschätzbarer Qualität.
Die Bereiche des Gehirns, die für das emotionale Erfahrungsgedächtnis zuständig sind, beginnen bereits vor der Geburt zu arbeiten. Dort wird alles gespeichert, was dem Organismus widerfährt – allerdings nicht in Form von Sprache. Denn die Bereiche des Gehirns, die das sprachlich verfügbare Faktenwissen speichern, entwickeln sich erst nach dem zweiten Lebensjahr.
Bilder vor dem inneren Auge
Wie arbeitet dieser Mechanismus? Steht eine Entscheidung an, erzeugt das Gehirn Vorstellungsbilder von möglichen Zukunftsszenarien, die wie kurze Filme vor unserem inneren Auge ablaufen. Diese Filme entstehen fast gleichzeitig. All dies geschieht, ohne dass uns davon etwas bewusst werden muss. Die Filme werden nun verglichen mit ähnlichen Situationen aus dem Pool an Erfahrungen, die ein Mensch gesammelt hat.
Körpersignale
Findet sich eine vergleichbare Situation, löst dies automatisch eine damit verbundene Bewertung aus. Diese erfolgt jedoch nicht über den Verstand, sondern über die Auslösung körperlich wahrnehmbarer Signale. Dieser Mechanismus arbeitet pausenlos während unseres gesamten Tagesablaufs.
Unterschiedliche Entscheider-Typen
Menschen unterscheiden sich in Ihrem Entscheidungsverhalten. Einige stützen sich eher auf ihr rationales Entscheidungsvermögen und konzentrieren sich im Entscheidungsprozess auf vernünftige Argumente. Andere verlassen sich eher auf ihr Bauchgefühl und damit auf ihr emotionales Erfahrungsgedächtnis. Wenn wir uns mit unseren Neigungen beschäftigen und unser Entscheidungsverhalten kritisch beleuchten, können wir typische Stolpersteine oder blinde Flecken finden. Sind diese einmal aufgedeckt, können wir im Entscheidungsprozess bewusst auf sie achten.
Vernünftige Entscheidungen sind nicht immer die klügsten
Als rationaler Entscheider haben wir eine Vorliebe für Zahlen, Daten und Fakten und wägen diese sorgsam ab. Dabei sollten wir jedoch nicht die wertvollen Impulse außer Acht lassen, die uns unser Erfahrungsgedächtnis liefert. Wer also dazu neigt, sich bei Entscheidungen einseitig auf rationale Aspekte zu stützen, sollte bei der nächsten Entscheidung in sich horchen und sich erlauben, die „irrationalen“ Gefühle mit in seine Entscheidung einzubeziehen.
Seine Intuition und sein Bauchgefühl zu nutzen heißt nämlich eigentlich, auf eine unfassbare Menge von Daten in Form von Erfahrungswerten zuzugreifen, sie blitzschnell zu kombinieren und Schlüsse abzuleiten – nur eben unter der Oberfläche des Bewussten.
Gerade bei komplexen Entscheidungen brauchen wir unser Bauchgefühl
Außerdem kann es gerade bei komplexen Entscheidungssituationen passieren, dass wir beim Abwägen so sehr ins Detail gehen, dass wir den roten Faden verlieren und frustriert sind, weil es aufgrund der vorhandenen Informationen keine eindeutige, sinnvolle Lösung gibt. Dann passiert es oft, dass Entscheidungen sich in die Länge ziehen und manchmal sogar, dass gar keine Entscheidung getroffen wird. Bei einer unklaren oder sehr komplexen Sachlage sollten wir also lieber bewusst frühzeitig unsere Gefühle hinzuziehen.
Auch Bauchgefühle können trügen
Als eher gefühlsbetonter Mensch sollten wir wiederum darauf achten, uns nicht ausschließlich auf unsere Intuition zu verlassen, sondern auch die vorhandenen Fakten und sachlichen Argumente berücksichtigen. Denn auch wenn unser Erfahrungsgedächtnis uns einen wertvollen Wissensschatz bietet, kann es sein, dass vergangene ähnliche Erfahrungen sich in entscheidenden Punkten von der aktuellen Situation unterscheiden.
Das, was in einer vergleichbaren Situation gut funktioniert hat, kann mit einer hohen Wahrscheinlichkeit auch jetzt eine sinnvolle Lösung sein – muss es aber nicht. Das heißt, obwohl unsere Emotionen ein sehr guter Indikator für kluge Entscheidungen sind, kann es auch passieren, dass unser Gefühl uns trügt. Und dann ist es besonders wichtig, seine Entscheidung auch auf die greifbaren Fakten zu stützen.
„Eine Nacht darüber schlafen“ beugt Schnellschüssen vor
Menschen, die eher „aus dem Bauch heraus“ entscheiden, neigen außerdem zu übereilten Entscheidungen. Das Gefühl ist so klar, dass wir gar nicht weiter nachdenken und unsere Entscheidung umgehend treffen. Gerade, wenn die Entscheidung sich so klar anfühlt, ist es in der Regel sinnvoll, die sprichwörtliche Nacht darüber zu schlafen und zu hinterfragen, woher diese Sicherheit kommt.
Verstand oder Erfahrung alleine reichen nicht aus
Weder der Verstand noch das Erfahrungsgedächtnis sollten isoliert wirken dürfen. Allein den Verstand einzusetzen garantiert nicht das Fällen einer klugen Entscheidung. Aber auch wer körperliche Signale und Erfahrungswissen als Orientierungshilfen nutzt, sollte dies bewusst tun. Denn da beide auf individuellen Erfahrungen beruhen, können auch sie in die Irre führen.
Am besten ist es, darauf zu achten, bei Entscheidungen beide Ebenen bewusst zu berücksichtigen und ihnen gleichermaßen Raum zu geben, um möglichst kluge Entscheidungen zu treffen.