Führung ist keine One-Man-Show
Es ist eine selbstverständliche Annahme, dass die Führungskraft verantwortlich für gute Führung ist. Dabei wird die andere Seite, nämlich die des „Geführten“, oft nicht berücksichtigt. Führung ist ein interaktiver Prozess, der nicht als Einbahnstraße funktioniert.
Für Führungskräfte ist es häufig ein Standard, sich immer wieder zu fragen, wie wirksam sie in ihrer Führung sind bzw. was sie besser machen könnten. Doch wie häufig fragen sich Mitarbeiter eigentlich, wie wirksam ihr Verhalten in Bezug auf die eigene Führungskraft ist? Welcher Mitarbeiter überprüft sich kritisch in Bezug auf seine eigene „Führbarkeit“ in dem Sinne „Wie gut lasse ich mich führen?“ oder „Was trage ich dazu bei, dass die Führung durch meinen Chef gelingen kann?“ und „Welchen Anteil habe ich daran, wenn die Führung meines Chefs für mich unwirksam ist?“
Jeder Mitarbeiter ist aktiver Bestandteil am sozialen Prozess „Führung“ – ob er will oder nicht. Auch die eigene Passivität ist ein echter Anteil am Führungsprozess und damit nicht weniger einflussreich. Ein guter Grund also, sich den Prozess der „Führung von unten“ genauer anzuschauen, denn gute Mitarbeiter haben die Möglichkeit, sich gute Chefs „heranzuziehen“. Die folgenden Hinweise können dazu beitragen:
Machen Sie Ihren Chef so gut wie möglich
Auch wenn es gewöhnungsbedürftig klingt: Mitarbeiter haben Mitverantwortung für gute Führung. Ein Chef kann nämlich nur so gut sein, wie seine Mitarbeiter ihn lassen. Das bedeutet in der Praxis, dass ich als Mitarbeiter nur dann mehr Vertrauen für selbstständiges Arbeiten von meinem Chef einfordere, wenn ich auch bereit bin, die Verantwortung für mein Handeln zu übernehmen. Und dass ich bei einer Forderung nach mehr Selbstständigkeit berücksichtige, dass ich nicht permanent ein Lob von meinem Chef für meine Motivation erwarte. Wenn ich im Unternehmen mehr Transparenz fordere, ist es konsequent, diese Forderung auch an ein echtes Interesse für die Belange des Unternehmens zu koppeln. Führung ist nämlich keine Darbietung, die es zu konsumieren gilt.
Was treibt mich an?
Wer ist eigentlich für meine Motivation verantwortlich? Ich selbst – wer sonst? Mein Chef kann mich zwingen oder begeistern, aber motivieren kann ich mich nur selbst. Dabei gibt es drei unterschiedliche Antreiber in uns Menschen: Macht, Anschluss oder Leistung. Wer durch Macht motiviert ist, will besser sein als die anderen. Er will dominieren und gewinnen. Wer durch Anschluss motiviert ist, will Anerkennung, will geliebt werden und dazu gehören. Wer durch Leistung motiviert wird, kämpft nur gegen sich selbst – derjenige will heute besser sein als gestern.
Dabei ist jede dieser grundlegenden Motivationsstrukturen völlig in Ordnung – es ist nur wichtig, sich dabei nicht selbst zu belügen. Denn wer beispielsweise viel arbeitet, ist noch längst nicht leistungsmotiviert – er tut es vielleicht für die Anerkennung anderer. Wichtig ist, dass ich meine eigene Motivation kenne!
Es gibt keine richtigen oder falschen Entscheidungen
Das Wesen von Entscheidungen ist, dass sie immer auch hätten anders ausfallen können. Dafür braucht es Führungskräfte, denn sie entscheiden da, wo es unterschiedliche Wege, Perspektiven und Möglichkeiten gibt. Es braucht keinen Chef, um zu entscheiden, dass zwei plus zwei gleich vier ist. Es braucht nur dann eine Führungskraft, wenn zwischen Alternativen gewählt werden muss. Diese sind oft nicht genau abzuwägen, weil zwar viel kalkuliert werden kann, aber die Gewissheit erst durch das Handeln entsteht. Dementsprechend gibt es keine rein richtigen oder falschen Entscheidungen – sie entsprechen nur in ihren Folgen besser oder weniger gut den Erwartungen, die im Vorfeld bestanden.
Wer im Roulette auf Rot setzt und gewinnt, hatte Glück, aber nicht richtig entschieden. Umgekehrt bedeutet das, dass ein Mensch nicht zwangsläufig falsch entschieden haben muss, wenn das Resultat nicht den Erwartungen entspricht. Denn es gibt keine Erfolgsgarantie für Entscheidungen – trotzdem muss Verantwortung übernommen und Entscheidungen getroffen werden. Wenn ich das als Mitarbeiter berücksichtige, sollte ich also vielmehr darauf achten, ob meine Führungskraft überhaupt Entscheidungen trifft und ob sie im Entscheidungsprozess gut informiert und gewissenhaft vorgegangen ist. Und ein Chef, der zu dem Resultat seiner Entscheidung steht, ist deutlich wirksamer als ein Chef, der nichts entscheidet.
Kritik akzeptieren
Die meisten Menschen sagen, dass sie offen für konstruktive und berechtigte Kritik sind. Das Problem ist: Wer entscheidet eigentlich, ob Kritik berechtigt ist? Der Kritisierte ist oftmals emotional betroffen und getroffen und dann kommt die Kritik vielleicht gar nicht mehr so konstruktiv an, obwohl sie inhaltlich wichtig ist. Daher sollte ich mich bei jeder Kritik fragen: „Wie kommt mein Chef dazu, mich so hart anzugehen? Was ist mein Anteil daran?“ Denn in der Regel äußern Menschen Kritik nicht grundlos. Ich habe durchaus das Recht die Kritik abzulehnen, aber erst nachdem ich mir diese Fragen nach meinem Anteil gestellt habe. Denn „Eingeschnapptsein“ führt nicht zu Weiterentwicklung.
Konflikte müssen auf den Tisch
Konflikte gehören dazu. Wichtig ist, dass sie auf den Tisch kommen und geklärt werden. Aber wer muss den Konflikt ansprechen? Der Chef? Nein, nicht zwangsläufig. Den Konflikt anzusprechen ist Sache desjenigen, der darunter leidet – egal ob Chef oder Mitarbeiter. Selbstverständlich kostet dies Überwindung, aber es ist die einzige Möglichkeit für Weiterentwicklung. Sonst lernt keiner den Standpunkt des anderen kennen, kann sich damit nicht auseinandersetzen und eine Lösung finden.
Die Auswirkungen des eigenen Handelns betrachten
Es macht einen Unterschied, ob ich als Mitarbeiter meine Arbeitsaufträge stoisch abarbeite oder ob ich die Auswirkungen meines Handelns unternehmerisch betrachte. Wenn ich mich z. B. als Mitarbeiter frage, was wäre, wenn jeder so handeln würde, wie ich es gerade getan habe: Wieviel Geld würde es kosten bzw. ließe sich sparen? Wie würde sich zum Beispiel die Leistung für den Kunden verbessern oder verschlechtern, wenn jeder Anrufe so beantworten würde wie ich? Was ist, wenn das alle so machen, über Wochen hinweg?
Wenn ich so „hochrechne“, d.h. die Auswirkungen meines eigenen Handelns auf das Unternehmen bemesse, übernehme ich als Mitarbeiter die Verantwortung für mein Tun. Diese Selbstreflektion bringt mich zu einem wirksamen Verhalten als Geführter.
Nicht bei allem um Erlaubnis fragen
Unternehmen sind nur dann erfolgreich, wenn Menschen Ideen haben und Initiative ergreifen. Wenn sie Probleme sehen und sie lösen und die Notwendigkeit zum Handeln erkennen – und nicht nur Dienst nach Vorschrift machen. Dabei gelingt natürlich nicht immer alles, das ist normal. Wenn die Konsequenz aber ist, dass Mitarbeiter zur Sicherheit bei allem um Erlaubnis bitten, etabliert sich eine Kultur der „Entscheidungsfeigheit“. Und das lähmt ein Unternehmen.
Als wirksam Geführter sollte ich selbstverständlich dann um Erlaubnis bitten, wenn es nicht anders geht, wie beispielsweise bei klar geregelten Befugnissen. In allen anderen Fällen ist es deutlich wirksamer, wenn ich mich frage, wie mein Chef handeln würde und dann nach guten Überlegungen eine Entscheidung zu treffen. Das erfordert natürlich Mut und eine gute Fehlerkultur. Zu dieser kann ich aktiv beitragen, indem ich meinerseits großzügig mit den Fehlern meines Chefs und meiner Kollegen umgehe.
Ich habe als Mitarbeiter Einfluss – ich muss ihn nur nutzen! Dann kann ich meinen Chef deutlich wirksamer sein lassen. Das wiederum wirkt sich positiv auf das Miteinander aus, weil es von gegenseitigem Wohlwollen und Verantwortungsübernahme geprägt ist. Und das macht gute Führung aus.