Viele Mitarbeitende schalten bei der Arbeit ihre „berufliche Identität“ ein
Viele Menschen verspüren das Bedürfnis, eine „professionelle Maske“ zu tragen. Morgens ziehen sie ihre „Arbeitskleidung“ in Form eines Anzugs, einer Uniform oder eines Arztkittels an und schalten damit ihre berufliche Identität ein. Das Bestreben ist oftmals, Beruf und Privatleben strikt voneinander zu trennen. Die Arbeitskleidung verdeutlicht die berufliche Identität. Mitarbeitende haben oftmals das Gefühl, dass sie sich im Unternehmen nicht so frei, ungezwungen verhalten und „ganz“ zeigen können, wie sie sind, sondern in einer bestimmten Weise, die im Unternehmen erwünscht, festgelegt oder akzeptiert scheint.
Was bedeutet „Ganzheit“?
Wir Menschen haben alle ein Ego, und ein tieferes Selbst mit Sehnsüchten, Sinnstreben, Hoffnungen für unser Leben, für das anderer Menschen und die Welt. Im Arbeitskontext erleben wir davon oft nur einen Ausschnitt – ob aus Zeitdruck oder Anpassung, zeigen wir uns selten mit allen unseren Facetten.
Das hat sowohl mit der Unternehmenskultur als auch den darin agierenden Menschen zu tun. Denn die Menschen im Unternehmen gestalten schließlich die Kultur. Wenn zum Beispiel in einer Organisation die Menschen Respekt bekommen, die entschlossen, sachlich und durchsetzungsstark agieren und Zahlen, Daten und Fakten in den Vordergrund stellen, dann führt das möglicherweise dazu, dass Intuition, Empfindsamkeit und Emotionalität weniger gelebt werden.
Die Ursache dafür sind Ängste
Ist es denn notwendig oder sinnvoll, dass die Mitarbeitenden in „Ganzheit“, das heißt mit ihrem ganzen Selbst, ihren persönlichen Stimmungen und Eigenarten bei der Arbeit erscheinen? In der Arbeit verfolgen wir einen gemeinsamen Zweck – und so manches Verhalten könnte auch Unruhe in das Miteinander bringen.
Problematisch wird es, wenn Mitarbeitende haben Angst davor haben, mit ihrem ganzen Selbst und ihren Ecken und Kanten bei der Arbeit zu sein, weil sie sich nicht angreifbar und verletzbar machen wollen. Es gibt ihnen Sicherheit, ihr Selbst hinter einer professionellen Maske zu verbergen, also einen Teil von sich zu Hause zu lassen, wenn sie morgens ihre Arbeitskleidung anziehen. Leider kommen dann auch die individuellen Stärken der Person nicht zur Geltung – und oft unterschätzen wir, was eigentlich alles in unseren Kollegen an Fähigkeiten und Potenzialen steckt.
Wie fördern Unternehmen Ganzheit?
Es gibt bereits Unternehmen, die ungewöhnliche Dinge ermöglichen, um Ganzheit zu fördern. Zum Beispiel, dass Mitarbeitende ihre Kinder aus dem Betriebskindergarten holen, um mittags gemeinsam in der Kantine mit ihnen zu essen. Dies führt dazu, dass Mitarbeitende einander nicht nur als Kolleg*innen in einem beruflichen Kontext erleben und wahrnehmen, sondern einen nahbaren Menschen und auch einen Teil ihres Privatlebens erleben dürfen. Natürlich geben Menschen damit etwas Preis, dass sie auch verletzlich machen kann. Dies verändert die Beziehungen untereinander und zueinander.
Das Wichtigste für eine gute Zusammenarbeit und Wirksamkeit ist, eine sichere und Vertrauen fördernde Umgebung. Eine Grundregel dafür ist, eine verbale oder nonverbale Kommunikation und ein Verhalten, das wertschätzend, fördernd und auf Augenhöhe basiert. Vertrauen ist das Geheimrezept für produktive und freundvolle Zusammenarbeit.
Ganzheit ja – in den entsprechenden Rollen
Es gibt Menschen, die für sich den Eindruck haben, dass sie bei der Arbeit genau so sind wie in ihrem Privatleben, dass sie ganz sie selbst sind. Natürlich übernehmen wir alle in unserem Leben verschiedene Rollen. Und auch unsere Rolle als Mitarbeiter*in oder Führungskraft bedingt verschiedene typische Verhaltensweisen und Eigenschaften, welche wir im privaten weniger zeigen und dort dann eher andere Verhaltensweisen vorherrschen. Dies ist auch in Ordnung so. Der Ruf nach Ganzheit am Arbeitsplatz besagt nicht, dass wir alle unsere Rollen über den Haufen werfen sollen. Stattdessen dürfen und sollen wir Gefühle, Ängste, Wünsche und Gedanken, egal in welcher Rolle wir uns befinden, mit unserem Gegenüber teilen.
Die Arbeit und Zusammenarbeit mit anderen ermöglicht es uns, Teile von uns zu entdecken, die wir bisher nicht kannten. Das schafft Lebendigkeit und Lebensfreude, denn wir realisieren, dass viel mehr in uns steckt, als wir uns jemals vorstellen konnten. Auf diese Weise wachsen Ganzheit und das Gefühl: „Hier kann ich wirklich ich selbst sein.“
Persönlich können wir durch etwas mehr Ganzheit mehr Lebensfreude erlangen, emotionale Bindungen zu unseren Kolleg*innen und Mitarbeitenden aufbauen und dadurch wirtschaftliche Erfolge durch Zusammenarbeit erzielen. Wir erleben, wie vielschichtig die Prioritäten im Leben unserer Kolleg*innen sind und können uns gegenseitig unterstützen, wenn das Leben erfordert, dass wir unsere Arbeitsroutine einmal verändern müssen. Doch das funktioniert nur, wenn wir uns in unserer Ganzheit zeigen und sagen, was wir denken und fühlen.