Tobias Keller, Verkäufer in einem Sportfachgeschäft hat das Schaufenster umgestaltet. Als zwei Kolleginnen vorbeikommen, fragt er sie stolz nach ihrer Meinung. Die Kolleginnen sind ganz zufrieden mit dem Fenster, eine von ihnen findet allerdings, dass die Puppe noch ein Stück nach rechts verrückt werden sollte und dass außerdem noch ein paar Accessoires fehlen – eine Sporttasche und ein Handtuch zum Beispiel. Die zweite Kollegin ergänzt, dass die Farben noch etwas zu dunkel wirken. Ein paar farbliche Highlights würden die Kunden bestimmt ansprechend finden. Tobias Keller ärgert sich, dass er überhaupt gefragt hat. Er hat fast den ganzen Vormittag mit der Gestaltung verbracht und trotzdem haben die beiden nur etwas zu meckern gehabt. Sein Stolz und seine Zufriedenheit sind verflogen.
Solche Situationen kennen die meisten von uns. Wir haben alles gegeben und trotzdem hat es gefühlt nicht gereicht. Wieso ist das eigentlich so? Und warum haben andere fast immer einen Optimierungsvorschlag?
Der kritische Dialog als Instrument zur Steigerung der eigenen Arbeitsqualität
Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass wir als engagierte Mitarbeiter bei der Bearbeitung unserer Themen und Aufgabenstellungen unser Bestes geben, um das optimale Ergebnis für das Unternehmen zu erzielen. Jeden Tag bearbeiten wir unzählige Aufgaben mit dieser Haltung. Dabei sind wir teilweise so vertieft und auf unsere Idee / unser Ziel konzentriert, dass uns Kleinigkeiten und Details entgehen. Das hat nichts mit einer schlechten Leistung zu tun, sondern ist menschlich und völlig normal.
Was wir in solchen Momenten brauchen, ist eine Anregung von außen, den 2. Blick einer weiteren fachkompetenten Person, die den kritischen Dialog eröffnet. Der kritische Dialog ist das wertvollste Instrument, das uns zur Steigerung unserer eigenen Arbeitsqualität zur Verfügung steht. Doch was genau heißt „kritischer Dialog“?
Im Beispiel von Tobias Keller, wird der kritische Dialog von zwei Seiten gelebt. Zum einen von Tobias Keller selbst, der sein Bestes bei der Erledigung seiner Aufgabe gibt und anschließend die Meinung seiner beiden Kolleginnen einholt.
Da die beiden sich ernsthaft mit dem Ergebnis von Tobias Keller auseinandersetzen, d.h. nach Möglichkeiten zur weiteren Optimierung suchen und ihm diese wertschätzend mitteilen, leben auch sie den kritischen Dialog. Der Grund, weshalb Tobias Keller die Optimierungsvorschläge nicht als wertschätzend und bereichernd erlebt, liegt in seiner persönlichen Einstellung zum kritischen Dialog begründet.
Die Nutzung des kritischen Dialogs hängt von unserer Einstellung ab
Wir mit dem kritischen Dialog umgehen, hängt davon ab, welche Haltung und welches Bild wir dazu im Kopf haben:
Sehe ich den kritischen Dialog als Geschenk meiner Kollegen, das mich persönlich weiterbringt? Oder empfinde ich Kritik als Methode, um mich und meine Leistung klein und schlecht zu machen?
Offenheit für die Wahrnehmungen, Empfindungen und Sichtweisen der eigenen Kollegen öffnet immer unseren Blick – sowohl in Bezug auf inhaltliche Themen, als auch in Bezug auf erlebte Situationen mit Kunden, Kollegen und Führungskräften. Der Austausch über unsere unterschiedlichen Wahrnehmungen ermöglicht es uns, mehr als eine Perspektive einzunehmen.
Auch bei bereits abgeschlossenen Arbeiten ist der kritische Dialog sinnvoll
Insbesondere dann, wenn ein Thema oder eine Aufgabenstellung bereits abschließend bearbeitet wurde und nicht mehr verändert werden kann, fällt es uns teilweise schwer, den Sinn des kritischen Dialogs zu erkennen.
Ein Beispiel: Frau Bauer ist für die Organisation des jährlichen Teamevents verantwortlich. Diesmal soll es an einen nahegelegen Fluss gehen, wo alle gemeinsam eine Kanutour unternehmen werden. Frau Bauer hat dazu bereits eine entsprechende Einladung an die Kollegen verschickt. Als Frau Henkel die Einladung liest, fällt ihr auf, dass sie stellenweise ihrer Meinung nach zu umgangssprachlich formuliert und etwas zu verspielt gestaltet ist – schließlich gelten auch intern bestimmte Kommunikationsregeln. Sie ist sich nicht sicher, ob sie Frau Bauer darauf ansprechen soll. Einerseits wäre es ein wichtiges Feedback, andererseits ist es jetzt zu spät für Änderungen, denn die Einladung ist bereits verschickt.
Der kritische Dialog ist zukunftsgerichtet
Der kritische Dialog dient dem Zweck, durch Denkanstöße und Anregungen von anderen Personen, Ideen und Handlungsmöglichkeiten zu bekommen, um die eigene Arbeit zu reflektieren und zukünftig ein besseres Ergebnis erzielen zu können.
Für unser Beispiel bedeutet das, dass Frau Henkel unbedingt auf Frau Bauer zugehen und ihr eine Rückmeldung geben sollte. Frau Bauer kümmert sich jedes Jahr um das Teamevent und investiert viel Zeit und Energie in diese Aufgabe. Durch den kritischen Dialog mit Frau Henkel, wird es ihr gelingen, ihre Kommunikation in diesem Thema und ggf. auch in anderen Bereichen zu optimieren. Der 2. Blick ist demnach nicht vergangenheits- sondern zukunftsgerichtet, auch wenn er sich augenscheinlich auf Vergangenes bezieht.
Die Einstellung „Ich will es perfekt machen!“ erschwert den kritischen Dialog
Wie Frau Bauer mit dem 2. Blick der Kollegin umgeht, ist wie schon bei Tobias Keller von ihrer Einstellung zur eigenen Arbeit und zur Teamarbeit abhängig.
Wenn sie den Anspruch an sich selbst hatte, die Einladung ohne Unterstützung ihrer Kollegen perfekt zu schreiben, wird sie über die Rückmeldung enttäuscht sein und das Gefühl haben, ihr Ergebnis sei nun kleiner bzw. schlechter als vor der Rückmeldung. Sie wird den 2. Blick als Abwertung ihrer Leistung empfinden. Sollte Frau Bauer jedoch der Überzeugung sein, dass sie zwar bei der Einladung ihr Bestes gegeben hat, dass sich im Team jedoch weitere fähige Menschen mit guten Ideen befinden, wird sie die Chance im kritischen Dialog erkennen. Sie wird verstehen, dass der Hinweis der Kollegin ihre zukünftige Leistung verbessert. Durch das Geschenk des 2. Blicks wird ihre Arbeitsqualität in Zukunft automatisch wachsen.
Im Team zu arbeiten, heißt einander zu nutzen und offen zu sein für andere Perspektiven
Teamarbeit bedeutet, die Fähigkeiten, Ideen und Sichtweisen der anderen zu nutzen. Demnach endet der kritische Dialog nie. Er dient dem Zweck, die Sichtweisen unterschiedlicher Personen so zusammenzuführen, dass am Ende ein Ergebnis herauskommt, zu dem ein Einzelner nicht bzw. nicht in der Kürze der Zeit in der Lage gewesen wäre.
Entscheidend ist dabei auch, den Mut zu haben, zu halbfertigen Ausarbeitungen ein Feedback einzuholen, denn diese Vorgehensweise spart Zeit und erhöht somit die Effizienz. Außerdem ermöglicht dieses Vorgehen, selbst kurz aus dem Prozess auszusteigen und etwas Abstand bzw. neue Perspektiven zur eigenen Arbeit zu gewinnen. Mit der Einstellung: „Es gibt noch weitere gute Aspekte, die ich selbst gerade nicht sehe“, sind wir offen für anderes und damit in der Lage, persönlich zu wachsen.