Autonomes Denken ist wichtiger als autonome Systeme
Wir leben in einer Welt, in der Computer, Software und die Algorithmen und Regelwerke, die dahinterstecken, eine hohe Macht haben. Sie arbeiten berechenbar und machen uns Menschen das Leben an vielen Stellen einfacher.
Ihre statische Mechanik steht jedoch in Konkurrenz zu der menschlichen Fähigkeit, mit Unvorhergesehenem und Überraschungen umzugehen. Die Fähigkeit, in bestimmten Situationen die Routine und das Regelwerk zu verlassen und seine Erfahrung zu nutzen – das können digitale Systeme nicht.
Zwischen 50 und 58 % der Passagiere würden laut einer Studie heute nicht in ein Flugzeug steigen, das keinen menschlichen Piloten mehr hat. Das Glas des Zutrauens in das System ist also halb voll oder halb leer – je nachdem, wie wir es sehen wollen. Möglicherweise stehen wir an einem ähnlichen Punkt, an dem unsere Vorfahren mit Blick auf die ersten Dampfzüge standen und Geschwindigkeiten von 30 km/h für irrsinnig hielten. Zwischen dieser Einschätzung und der Idee, Menschen in unterirdischen Vakuumröhren, sogenannten „Hyperloops“ auf 1125 km/h zu beschleunigen, liegen weniger als 200 Jahre. Immer wieder machen neue Technologien uns Menschen zunächst Angst. Das ist normal und hat mit unserem Denken zu tun.
Computer können Routinen besser verarbeiten als Menschen, sie sind dafür aber gleichzeitig im schnellen Denken gefangen. Innovative Kreativität braucht jedoch eine andere Fähigkeit: das schnelle Denken muss durch das langsame Denken hinterfragt werden. Der Anfang alles Neuen ist selbstständiges Denken. Algorithmen und künstliche Intelligenzen können dabei das Denken beim Menschen anstoßen. Und nur wo es „normal“ ist, selbst zu denken, kann Innovation überhaupt entstehen. Dafür bedarf es einer gewissen Widerständigkeit und Abgrenzung vom Bestehenden. Und das können bislang nur Menschen.
Wie wir denken
Der Nobelpreisträger Daniel Kahneman unterscheidet zwischen zwei Arten von Denkprozessen: dem „langsamen Denken“, das bewusst gesteuert wird und dem „schnellen Denken“, das unbewusst abläuft.
Wenn wir eine neue Sprache lernen, brauchen wir für das Lernen und Verarbeiten von Vokabeln und Grammatik und auch für erste Unterhaltungen zunächst das langsame, bewusste Denken. Dieser Prozess beansprucht sehr viel Zeit, Energie und Gehirnkapazität und ist damit sehr ineffizient. Unsere Schaltzentrale läuft auf Hochtouren, um die Denkprozesse am Laufen zu halten. Ein Gespräch mit dem Sitznachbarn in der neuen Sprache während des Autofahrens zu führen ist anfangs undenkbar. Denn das Gehirn ist maximal beansprucht.
Durch das regelmäßige Wiederholen, Trainieren und Anwenden der Sprache müssen wir mit der Zeit immer weniger darüber nachdenken, wie wir etwas formulieren. Das ist der Zeitpunkt, an dem die einzelnen Denkschritte in unser schnelles, unbewusstes Denken übergehen. Unser Gehirn braucht deutlich weniger Energie.
Der effiziente Umgang mit der Gehirnkapazität ist deshalb so wichtig, weil wir laut Kahneman bis zu 40 Millionen Entscheidungen pro Tag treffen, wenn wir jeden Atemzug, jeden Blick auf das Handy und jeden Handgriff mitzählen. Diese Menge an Entscheidungen bewusst zu treffen, würde unser Gehirn maßlos überfordern.
Aus diesem Grund treffen wir mindestens 90 % unserer täglichen Entscheidungen unbewusst, das heißt rein auf Basis dessen, was wir in unserem Leben bisher erlebt und gelernt haben. Das Bewusstsein wird nur bei Bedarf hinzugezogen, wenn etwas Unerwartetes auftaucht. Das macht unser Gehirn effizient.
Perfektion führt nicht zu Innovation
Mechanische Prozesse mögen schneller sein als menschliche, aber sie stoßen an Grenzen, wenn es individuelle Abweichungen gibt bzw. wenn es darum geht, Bestehendes und Routinen kritisch zu hinterfragen. Dann gibt es keine Alternative zum menschlichen Geist.
In unserer komplexen Welt mit wechselnden Rahmenbedingungen brauchen Unternehmen Menschen, die Bestehendes hinterfragen und in Frage stellen, ob das, was wir tun und haben, nicht auch besser oder auch ganz anders ginge. Menschen, die den Mut haben zum Experiment – zu Versuch und Irrtum – zum Denken „outside the box“.
Die Abläufe, die Maschinen erledigen, werden immer genauer und besser, also perfekter. Perfektion in diesem Sinne ist Optimierung und gleichzeitig eine Falle. Wir optimieren teilweise so lange, bis nichts mehr geht.
Der Anfang von Innovation jedoch ist nicht perfekt. Innovation entsteht durch vage Ideen, die weiterwachsen, weil auf dem Weg Fehler passieren dürfen. Nur wer keine Angst vor dem „Unperfekten“ hat, öffnet den Weg für echte Weiterentwicklung.
Entwicklungsfähige Systeme probieren sich somit neu aus. Die Evolution probiert ständig neue Kombinationen aus – und ist somit ein einziges großes Experiment zur Verbesserung der Lage jedes einzelnen Lebewesens. Dabei gibt es Sackgassen und Irrtümer – sie sind ein natürlicher Teil jedes Innovationsprozesses. Wenn wir die Irrtümer und Sackgassen vermeiden wollen, können wir nicht wachsen, denn das Lernen aus diesen ist für Innovation unabdingbar.
Der Gründer des Bezahldienstes Paypal ist beispielsweise mit vier Unternehmensgründungen gescheitert, bevor es mit Paypal zur fünften und immens erfolgreichen Idee und Gründung kam. Experimente sind demnach die einzige Möglichkeit, wirklich voranzukommen. Im Fazit heißt das; die wichtigste kulturelle Innovation ist das Zulassen von Versuch und Irrtum. Ein iteratives Vorgehen. D.h. ein schrittweises Wiederholen und Ausprobieren nach dem Prinzip „Versuch macht klug.“ Ist für Innovation und Entwicklung unerlässlich.