Ist das, was ich von mir selbst wahrnehme, identisch mit der Person, die ich bin? Gewährt der Blick von außen – der des/der Partner*in, der Freund*innen, der Kolleg*innen – eine klarere Sicht auf mich selbst?
Natürlich weiß ich, wer ich bin
Ich weiß, wie ich groß geworden bin, was ich erlebt und getan habe, was mir heute wichtig ist und was ich mir für die Zukunft wünsche. Niemand kennt mich so lange wie ich.
Indem ich über mich spreche, bin ich zugleich Subjekt und Objekt meiner Wahrnehmung. Doch wie gut kennt das Subjekt „Ich“ das Objekt „Ich“ wirklich?
Ein Beispiel dazu: Ein guter Freund fragt mich, ob ich heute Abend mit ihm ins Kino gehe. Ich sage, dass ich müde bin und lieber zu Hause bleibe. Ich weiß, was ich will, und ich tue, was ich möchte. Aber was hat mich zu dieser Entscheidung bewogen? Das nasse Winterwetter, das mich unweigerlich auf die Couch zieht? Das Gefühl von Anstrengung, das mich in Gegenwart dieses Freundes manchmal überkommt? Das mittelmäßige Kinoprogramm, das mich wenig reizt?
Welche Motive leiten uns zu unseren Entscheidungen?
Wenn Friedrich Nietzsche vom „Kampf der Motive“ spricht, dann meint er diese Unsicherheit darüber, ob es Gewohnheit, der Impuls durch einen Menschen oder pure Bequemlichkeit ist, die uns im Moment der Entscheidung zu Taten bewegt. Nietzsche geht sogar so weit zu behaupten, dass dieser Kampf völlig unbewusst in uns ausgetragen wird: Welche Motive uns bedrängen und welche in diesem Kampf die Oberhand gewinnen, bleibt uns unzugänglich.
Wir haben Beweise gesammelt, die uns in unserem Selbstbild bestätigen
Wir gehen normalerweise davon aus, uns so gut zu kennen, dass wir sogar Prognosen anstellen über unser zukünftiges Handeln. Urteile der Art „Das würde ich nie tun!“ sind nicht unbedingt Ausdruck moralischer Überheblichkeit, sondern einer Gewissheit unserer selbst.
Angenommen, ich halte mich für einen gerechtigkeitsliebenden Menschen und ich habe die Erfahrung gemacht, dass in wichtigen Fragen meine moralischen Maßstäbe und mein Handeln einander entsprechen. Ich erinnere mich daran, wie ich jemandem, der unfair behandelt wurde, unterstützend zur Seite gestanden habe. Ich habe sozusagen Beweise in meinem Leben gesammelt, die mich als einen aufrechten Menschen ausweisen. Ich glaube also, mich zu kennen.
Dabei gibt es einen Haken; die Tatsache, dass ich in dem Bewusstsein lebe, über mich selbst Bescheid zu wissen, heißt nicht, dass dem wirklich so ist. Wir haben viele nachvollziehbare Motive für unser Handeln – und viele Motive, von denen wir überhaupt nichts ahnen. Sie liegen in unserer Biografie, aber auch in den Beziehungen, die wir pflegen; in dem Umfeld, in dem wir leben und arbeiten und all den Zufälligkeiten, die uns im Moment der Entscheidung widerfahren. Sie liegen somit auch in dem, was wir über die Zukunft noch gar nicht wissen. Gibt es überhaupt eine Chance, uns selbst zu kennen?
Die Perspektive der anderen – Abgleich von Selbst- und Fremdbild
Andere Menschen können mir Auskunft geben über mich selbst. Familienmitglieder, Freunde, Führungskräfte oder Kollegen können meine Wirkung, meine Fähigkeiten und Eigenschaften, meine Arbeitsergebnisse meist sehr zutreffend einschätzen. An ihrer Wahrnehmung meiner Person, meines Handelns und meiner Motive kann ich mein Selbstbild abgleichen und korrigieren. Das heißt nicht, dass die anderen zwangsläufig besser über mich Bescheid wissen als ich selbst. Aber indem ich mir am Blick der anderen bewusstwerde, dass ich über mich nicht wirklich Bescheid weiß, verschaffe ich mir ein neues Bewusstsein meiner selbst und bin vorsichtiger in meinen Urteilen über mich selbst. Die Perspektive der anderen erweitert meine eigene, sofern ich bereit bin, diese zuzulassen und anzuerkennen.
Die richtige Selbsteinschätzung ist eine Entwicklungsaufgabe, durch die wir wachsen und unsere Potenziale noch besser nutzen können, denn; die allermeisten Menschen neigen dazu, sich im Alltag leicht zu überschätzen,
…doch dazu mehr in unserem nächsten Blogbeitrag 😊.