Eine Meinungsverschiedenheit ist noch kein Konflikt
Was ist der Unterschied zwischen Konflikt und Meinungsverschiedenheit? Ein Konflikt besteht immer dann, wenn mindestens einer der beteiligten Personen negative Gefühle gegenüber dem anderen entwickelt hat. Solange keine negativen Emotionen im Spiel sind, handelt es sich um eine Meinungsverschiedenheit, die sachlich gelöst werden kann. Hat mindestens einer der Beteiligten negative Gefühle aufgebaut, stehen diese einer sachlichen Lösung im Weg. Es kommt zu gegenseitiger Schuldzuweisung, Verletzung und Abwertung und unser Verstand „setzt aus“.
Was sind typische Konfliktfallen?
Konflikte sind Stresssituationen, in der wir – körperlich automatisiert gesteuert – unsere Denkleistung herunterfahren. Dadurch treten wir in Sekundenschnelle in Konfliktfallen, beharren auf unserem Standpunkt und sind in unserem Denken nicht mehr flexibel.
Wir tappen in Fallen, in denen sich jeder von uns schon wiedergefunden hat. So bewerten wir die Meinung des anderen beispielsweise als weniger wichtig oder richtig. Wir neigen dazu, dem anderen eine böse Absicht zu unterstellen, statt wohlwollend und nachsichtig zu sein. Oder wir nehmen den anderen und seine Befindlichkeit nicht ernst, spielen diese herunter. Auch allgemeine Moralisierungen im Sinne von „Sowas gehört sich einfach nicht.“ fachen das Feuer eher an, als zu deeskalieren. Stoisch die eigene Sichtweise zu verteidigen oder auf der eigenen Kränkung zu beharren, verhindert ebenfalls eine Lösungsfindung. Eines haben alle Konfliktfallen gemeinsame: Wir sind in unserer eigenen Sichtweise gefangen wie in einer Glaskugel – isoliert vom anderen. Also, was tun?
Bei einem Konflikt haben subjektiv alle recht
Jeder hat seine eigene Sicht- und Erlebensweise, die in sich schlüssig ist. Was passiert also mit hoher Wahrscheinlichkeit, wenn wir einem unbeteiligten Dritten von dem Konflikt erzählen? Er wird sich in unsere Situation hineinversetzen und uns in unserer in sich stimmigen Sichtweise bestärken. Bildlich gesehen, ist er mit unter unserer Glasglocke gelandet und wir sind uns einig, dass der andere im Unrecht ist. Es tut gut verstanden zu werden – es beruhigt unsere eigenen aufgewühlten Gefühle. Damit sich der Konflikt jedoch nicht verhärtet, tun wir gut daran, unsere eigene Sichtweise und unser Gefühl zu vertreten und gleichzeitig gedanklich immer hinzuzufügen, dass der andere auch seine eigene in sich schlüssige Sicht- und Erlebensweise mit entsprechenden Emotionen haben wird. Haben sich unsere eigenen Gefühle etwas beruhigt, könnte daher ein erster Schritt zur Konfliktlösung sein, zu überlegen: Was ist meine eigene Sichtweise auf die Situation? / Was würde der andere jetzt über den Konflikt erzählen?
Wir lassen beide Sichtweisen nebeneinander stehen – in dem Wissen: Jeder hat recht. Dann können wir uns fragen:
Worum geht es eigentlich?
Das ist die Kernfrage, die es uns ermöglicht hinter die Konfliktfassade zu blicken. Oft liegt Konfliktsituationen eine weniger offensichtliche, verborgene Ursache zu Grunde: tief liegende Bedürfnisse, die nicht erfüllt werden. Unerfüllte Bedürfnisse zu erkennen, ist gar nicht so leicht. Unsere Gedanken und Gefühle äußern sich „laut“ und offen – sie drängen sich in den Vordergrund, rumoren in uns und lassen uns nicht los. Unsere Bedürfnisse hingegen äußern sich „leise“ und indirekt. Genau deswegen ist es so wichtig, dass wir in einem Konflikt oder zumindest nach der Konfliktsituation in uns hineinhorchen und gezielt nach unseren unerfüllten Bedürfnissen suchen. Denn setzen wir uns nur mit dem aktuellen Anlass des Konflikts auseinander und bleibt das eigentliche Thema unerkannt und ungeklärt, wird sich das Thema anhand vieler weiterer Anlässe immer wieder zeigen und zu Konflikten führen. Unsere negativen Gedanken und Gefühle sind also Signale, die uns so lange warnen, bis wir uns dem eigentlichen Thema zuwenden und es lösen.
Ein weiterer Schritt zu einer wirklichen Konfliktlösung ist daher, unsere eigene Aufmerksamkeit im Konfliktgespräch für verdeckte Themen zu schärfen und Folgendes zu hinterfragen:
Warum denke ich so? Was genau stört mich?
Warum bin ich emotional so aufgebracht? Was will ich wirklich ausdrücken?
Warum ist mir das Thema so wichtig? Worum geht es mir eigentlich? Welches meiner Bedürfnisse ist unerfüllt?
Was würde ich mir konkret wünschen? Was ist realistisch?
Damit nehmen wir unsere Bedürfnisse ernst, fangen an, uns besser zu verstehen und gewinnen Klarheit – unsere aufgebrachten Emotionen können zur Ruhe kommen. Das ist eine Grundvoraussetzung dafür, dass wir wieder klarer denken können und lösungsbereit werden.
Wenn wir die Situation aus beiden Perspektiven betrachten – unserer eigenen und der unseres Konfliktpartners – und unsere eigenen Empfindungen geklärt haben, sind wir vorbereitet, unsere Position klar und fair in einem Klärungsgespräch vertreten zu können.