Kultur wirkt in verschiedenen Strukturen
In vielen Unternehmen wundern sich die Menschen über die Stabilität allseits beklagter Missstände. Auch durch regelmäßige Umstrukturierungen entstehen keine wirklichen Veränderungen – selbst dann nicht, wenn sich alle einig sind, dass sich etwas ändern muss. Beispiel Bürokratie: Keiner will sie und trotzdem nimmt sie zu, und alle erleben sie als anstrengend und zeitraubend. Was für ein Unsinn!
Das, was in Unternehmen geschieht, ist kein Unsinn. Denn hinter allem steckt Vernunft – auch wenn sie nicht immer auf den ersten Blick durchschaubar ist. Weil diese Vernunft eine verborgene ist, nennen wir sie die Vernunft der „Hinterbühne“. Wie im Theater sind das Strippen-Ziehen und Möbel-Rücken auf der Hinterbühne unentbehrlich für eine gute Theater-Aufführung.
In Unternehmen besteht die Hinterbühne aus unsichtbaren, informellen Kulturfaktoren – wie Werten, Teamgeist und Flurfunk. Diese informellen Strukturen sind nirgendwo vereinbart oder beschrieben. Dennoch sind sie alle bekannt und stellen das „Kraftfeld“ dar, in dem alle Menschen im Unternehmen agieren. Und bei genauer Analyse der bestehenden Verhaltensmuster auf der Hinterbühne finden sich oft brillante Lösungsansätze.
Kommunikation prägt das System – die Menschen sind austauschbar
Beide Systeme, das formelle und informelle, bestehen nur aus Kommunikation – und nicht aus ihren Mitgliedern.
Ein Beispiel: Die Fankurve eines Fußballstadions verhält sich in ähnlichen Situationen immer gleich – egal, welche Personen sich gerade das Spiel ansehen und auf welchen Plätzen sie sitzen. Eigene Tore werden gefeiert und bejubelt, Gegentore mit Entsetzen ertragen. Das geschieht, ohne dass die Fans sich vorher abstimmen und darauf einigen müssen. Es gibt eine eigene Dynamik.
So erzeugt auch die Kommunikation in Unternehmen im Laufe der Zeit aus den verschiedenen Erwartungen aller Beteiligten eine gemeinsame Kultur. Formell in Gesprächen und Besprechungen, und informell im Flurfunk. Sie wirkt dann wie ein „Kraftfeld“, in dem alle verschieden denken und handeln. Kultur normiert nicht, aber sie führt zu einem gemeinsamen Stil, auf den sich dann alle verlassen. Auch in einem Konzertsaal, auf einer Party oder auf einer Trauerfeier bilden sich Systeme, aber mit einer anderen Kultur und einem anderen Stil. Keiner muss sich diesem informellen Stil fügen, aber jeder weiß aus seiner eigenen Erziehung, dass Rebellion oftmals vorhersehbare, aber in jedem Fall unangenehme Konsequenzen hat.
Kommunikation prägt das System. Und das System ist die Umgebung für Menschen. Es erstaunt Sie vielleicht, wenn wir sagen: Die einzelnen Menschen sind dabei austauschbar. Und doch kennen wir alle Beispiele, die zeigen, dass sich meist sich in Unternehmen kaum etwas ändert, wenn Personen, auch Vorstände, ausgetauscht werden. Warum? Weil die Menschen, die neu in das Unternehmen kommen, sich nur im Rahmen der bestehenden formellen und informellen Kultur verhalten. Die meisten Menschen passen sich an das neue System an. Einige wenige erkennen Veränderungsansätze und gestalten neue Prozesse. Doch zu viel Rebellion erträgt ein System nicht. Deshalb werden zu widerständige Mitarbeitende vom Immunsystem der Kultur schnell wieder „ausgeschwitzt“.
Wenn wirklich etwas verändert werden soll, reicht es nicht, wenn Führungskräfte ihren Mitarbeitenden oder sich selbst neue Vorgaben machen oder Verhaltensanweisungen geben. Diese erreichen die Menschen nur auf der Kommando-Ebene im Sinne einer Handlung-Ergebnis-Kette. In unvorhergesehenen Situationen wird dann wieder die erprobte Kultur Oberhand gewinnen.
Echte, grundsätzliche Veränderungen finden nur statt, wenn Ursachen und tiefer liegende Gründe und Mechanismen für das Handeln der Beteiligten reflektiert und überdacht werden.
Ein Beispiel aus der Praxis
Als Führungskraft beobachtet Herr Baum im Unternehmen immer wieder, dass sich in Besprechungen oftmals die gleichen Mitarbeitenden zu Wort melden. Gerade in Runden mit der Geschäftsführung hat er oft den Eindruck, dass sich die Mitarbeitenden nicht so frei fühlen, ihre Meinung zu sagen und ihre Ideen zu teilen. Es ist im Unternehmen üblich, dass informell eher den Führungskräften und Mitarbeitenden mit längerer Betriebszugehörigkeit die notwendige Kompetenz und Erfahrung zugesprochen wird.
Dies führt dazu, dass sich die Denkansätze meistens gleichen – es gibt aus seiner Sicht eine zu geringe Vielfalt an Perspektiven. Und er beobachtet, dass Fehler von Seiten der Mitarbeitenden nicht angesprochen werden, aus Angst sich zu blamieren.
Er führt in Abstimmung mit der Geschäftsführung ein neues Konzept ein, wie Besprechungen ablaufen sollen. Statt dem freiwilligen Einbringen von Ideen und Gedanken wird in Besprechungen nun jeder der Reihe nach aktiv nach seinen Gedanken und Ideen gefragt. Es wird darauf geachtet, dass sich alle an die Reihenfolge halten und er unterbricht jeden, der sich nicht daran hält. Auf diese Weise kommen auch ruhigere, zurückhaltende Menschen zu Wort und ihre Ideen können gehört und miteinbezogen werden.
Eine solche Veränderung mag in vielen Augen klein erscheinen. Ja, sie ist minimalinvasiv und damit bodenständig. Sie ist niedrigschwellig in der Umsetzung und damit steigt ihre Umsetzungswahrscheinlichkeit. Sie ist auf Wertschöpfung bedacht und auf die optimale Nutzung der vorhandenen Ressourcen. Selbstverständlich braucht auch eine solche Veränderung Zeit, um sich im Unternehmen zu etablieren. Die Auswirkung ist, dass zurückhaltende Mitarbeitende sich während der Besprechungen aktiv an der Diskussion beteiligen. Und auf diese Weise ist der früher eher abwertende Flurfunk in die Besprechung integriert – aber in konstruktiver und unterstützender Weise. Das verändert die Kultur.
Wir freuen uns darauf, Ihre Entwicklungsprozesse mit minimalinvasiven Veränderungen zu begleiten!