Die Natur hat permanent Krisen zu meistern
Den Umgang mit Krisen beherrscht die Natur meisterhaft. Ganz gleich wie gravierend die Veränderungen durch Temperaturschwankungen, Erdbeben, Meteoriteneinschläge, Überschwemmungen oder Waldbrände sind, biologische Organismen finden fast immer einen Weg, sie zu integrieren oder sogar zu nutzen. Das Geheimnis des Erfolges liegt in den Krisenstrategien, die die Natur im Laufe von Milliarden von Jahren entwickelt hat.
Im Gegensatz zum Menschen reagiert das System Natur auf Turbulenzen gelassen und überlegt
In Krisenzeiten bricht in Unternehmen meist Hektik und Unruhe aus. Etliche, nicht aufeinander abgestimmte Einzelmaßnahmen werden ergriffen, um Umsatzeinbrüche aufzufangen und Verluste einzudämmen. Das Ergebnis ist häufig ein Chaos, das die Emotionen kochen lässt, die Produktivität dagegen einfriert.
Es gibt übergeordnete Muster, mit denen Menschen auf Risiken oder Gefahren reagieren – die drei Fs der Angstforschung: Fight, Flight oder Freeze (Kampf, Flucht, Vermeidung). Wie wir Risiken wahrnehmen und mit ihnen umgehen, hat zudem auch mit unserer Erziehung zu tun und damit, wie unsere Eltern mit Risiken umgegangen sind. Wir rutschen schnell in dieses Muster und schalten dann auf Autopilot.
Im Unterschied zur kulturellen Welt reagiert die Natur auf Turbulenzen gelassen und überlegt. Denn Krisen und Veränderungen sind in der Natur normal und nichts Besonderes. Und die Strategien, die die Natur im Laufe der Zeit dafür entwickelt hat, lassen sich auf die Unternehmenswelt übertragen. Das Fundament, auf dem die natürlichen Krisenstrategien beruhen, ist die „Einstellung“ der Natur zu Krisen. Während in den Unternehmen meist der Glaube vorherrscht, an den äußeren Bedingungen lasse sich etwas ändern, verschwendet die Natur keine Energie darauf, gegen das Unveränderliche anzukämpfen, wenn Krisen wie Naturgewalten hereinbrechen. Akzeptieren statt ankämpfen, heißt die natürliche Devise. Die Natur mag mit den Veränderungen auch nicht einverstanden sein, aber sie geht damit um, indem sie den Missstand integriert, also das Beste – und manchmal sogar noch Besseres – daraus macht.
Das höchste Ziel ist das Überleben
Da akute Krisen für die Natur normal sind, hat sie sich mit standardisierten Überlebensmechanismen auf den Notfall vorbereitet. Für Unternehmen ist es wichtig, veränderte Rahmenbedingungen zu akzeptieren und unverzüglich Maßnahmen zum Überleben einzuleiten: schnell den Überblick gewinnen, die Liquidität erhalten, Kosten reduzieren, Einstellungsstopp, Ausgleich der Arbeitszeitkonten oder Kurzarbeit, Ertragspotenziale bei Stammkunden nutzen etc.
Das zweithöchste Ziel ist langfristiges Wachstum
Ist das Überleben zumindest kurzfristig gesichert, verfolgt jeder lebende Organismus sein zweithöchstes Ziel: das langfristige Wachstum – in seiner veränderten Umgebung. Langfristiges Wachstum haben Firmen zwar meistens auch auf der Agenda, was dort letztlich jedoch vor allem zählt, sind die kurzfristigen Ergebnisse. Wie haben sich die Zahlen im Vergleich zum vergangenen Quartal oder Jahr entwickelt? Haben wir unser Umsatzziel für das Jahr erreicht? Diese kurzfristigen Ziele versperren leicht den Blick auf die langfristige Entwicklung. Was müssen wir tun, um unter diesen neuen Wettbewerbsbedingungen langfristig erfolgreich zu sein?
Die eigenen Stärken und Besonderheiten nutzen
Das Prinzip, nach dem Anpassung in der Natur funktioniert: Eigene Stärken und Besonderheiten gilt es unbedingt zu nutzen. Aufbauend auf diesen werden dann Lösungswege entwickelt, die von Organismus zu Organismus folglich sehr unterschiedlich sein können.
Im Gegensatz zur Natur neigen die Unternehmen – gerade in Krisenzeiten – dazu, den Blick schweifen zu lassen. Best Practice hat dann Konjunktur: Was machen die Unternehmen besser, die sich in Krisenzeiten behaupten? Je mehr die Firmen allerdings darauf schauen, was die anderen tun, desto vergleichbarer und austauschbarer werden sie – und verspielen womöglich ihre größten Vorteile. Folgt man dem Vorbild Natur, sollte die Leitfrage vielmehr lauten: Wie können wir mit unseren Produkten, unserem Know-how, unseren Mitarbeitenden und unseren Ressourcen am besten mit den sich wandelnden Bedingungen Schritt halten?
Die Natur macht es vor. In Nordamerika und Australien werden regelmäßig große Teile der Vegetation durch Waldbrände zerstört. Der dort beheimatete Mammutbaum hat darin seine Chance erkannt: Er nutzt das Feuer zur Fortpflanzung. Seine Zapfen springen erst mit den Flammen auf, um ihre Samen freizugeben. Die Lebensbedingungen für die neuen Pflanzen sind exzellent: Die Böden sind stark mineralhaltig, keine sonstige Vegetation nimmt das Licht weg und Schädlinge sind vernichtet.
Die Verantwortung teilen und auf alle Ressourcen zurückgreifen
Dass sich gerade Pflanzen oft als ausgezeichnete Krisenmanager erweisen, liegt auch daran, dass sie sich bei Veränderungen gegenseitig unterstützen. Pflanzen bilden oft Pflanzensysteme, die sich gemeinschaftlich auf veränderte Situationen einstellen, sie leben in Symbiose mit anderen Pflanzen. Gemeinsames Krisenmanagement nach Pflanzenmanier wird in vielen Unternehmen auch so betrieben: Experten aus allen Abteilungen werden an einen Tisch geholt und ein jeder erklärt, welchen Beitrag sein Bereich zur Krisenbewältigung leisten kann, welche Möglichkeiten er sieht, wobei er Unterstützung braucht und welches Know-how und welche Kapazitäten er besitzt, um andere Abteilungen zu unterstützen. Auf diese Weise entsteht oft ein überaus intelligenter Umgang mit Veränderungen, bei dem nicht nur Reaktionsmöglichkeiten auf aktuelle Bedingungen, sondern auch Steuerungsmechanismen entwickelt werden, die in künftigen Krisenfällen greifen.
Steuerungsmechanismen geben die Richtung vor
Wie effektiv solche Steuerungsmechanismen sein können, demonstrieren Insektenkollektive wie Ameisenstaaten. Diese funktionieren heterarchisch, also selbst gesteuert. So sind die Aufgaben im Staat einerseits klar verteilt – während die einen Futter suchen, kümmern sich die anderen um den Nachwuchs. Die Tiere wechseln andererseits sofort in andere Arbeitsbereiche, wenn dies erforderlich ist. Darüber hinaus wird sogar durch den Bedarf gesteuert, welche Art von Nachkommen die Ameisenkönigin erzeugt: Arbeiterinnen oder fruchtbare Königinnen zur Gründung neuer Kolonien. Aufgrund solcher Steuerungsmechanismen reagieren soziale Insektenstaaten auf Veränderungen in ihrer Umwelt hoch flexibel. Selbst wenn der Staat durch Feuer oder Überschwemmung zu einem Großteil vernichtet wird, entwächst er wie der Phönix aus der Asche in kürzester Zeit neu.
Grundlage eines solchen Systems von Steuerungsmechanismen kann ein zentrales Wissensmanagement sein. Wissen und Erfahrungen aus allen Ecken des Systems werden unmittelbar weitergegeben und sind damit jederzeit transparent. So gelingt es, den gesamten Ameisenstaat immer auf ein bestimmtes Ziel hin zu steuern: entweder auf Wachstum, auf Verteidigung oder auf Krisenbewältigung.
Dass die Anwendung dieser Krisenstrategien in der Unternehmensentwicklung aber nicht auf Anhieb vergleichbar erstaunliche Resultate liefern kann, wie in der Natur, liegt auf der Hand. Schließlich hatte die Natur 3,8 Milliarden Jahre Zeit, den Umgang mit Katastrophen zu üben. Der moderne Mensch jedoch ist erst seit ungefähr 100.000 Jahren auf der Welt – und hat somit sehr viel weniger Erfahrung im Krisenmanagement. In Deutschland gibt es im globalen Vergleich kaum Berührungspunkte mit Krisen. Lebensbedrohliche Naturkatastrophen, technisches Versagen, Versorgungsengpässe – viele Menschen hierzulande mussten nie eine überregionale Krise durchleben. Wir sind Kontrolle und Sicherheit gewohnt.
Und was bedeutet das für uns in der aktuellen Corona-Situation?
Ein Teil der Menschen handelt gerade im Freeze-Modus. Sie ignorieren die Situation und machen einfach weiter wie bisher. Ein anderer Teil der Menschen reagiert momentan mit Flight, also Fluchtverhalten. Sie fahren nicht in den Urlaub, verzichten auf den Besuch von Großveranstaltungen und bleiben zu Hause. Im Fight- oder Kampfmodus sind gerade jene Menschen, die sich mit Lebensmittelvorräten eindecken und häufig Desinfektionsmittel nutzen.
Entscheidend ist, dass wir uns nicht von der medialen Erregungs-Kommunikation und dem Aktionismus (z.B. Hamsterkauf) anderer anstecken lassen, sondern dass wir überlegt handeln. Dass wir uns zunächst umfassend informieren, die Situation für uns persönlich analysieren und bewerten, welche Verhaltensweisen wir verändern und anpassen müssen. Dabei kann die Einhaltung einfachster Hygienemaßnahmen schon viel bewirken.
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