Führen ist nicht immer kuschelig
Unsere Arbeit und Zusammenarbeit verändern sich. Hierarchien werden flacher und Teams arbeiten digitaler, agiler und vernetzter zusammen. Doch diese neue Arbeitswelt macht Führung auch zukünftig unverzichtbar. Und Führung wird und kann trotz vielfach entstehender flacher Hierarchien nicht immer kuschelig und kollaborativ sein.
Bei aller Agilität lässt sich die Verantwortung nicht in eine Gruppe oder gar Cloud delegieren, sondern führen heißt, entscheiden zu müssen und die Einsamkeit, die oftmals damit einhergeht, aushalten zu können. Denn wer führt, ist oft allein und je mächtiger, d.h. befugter der Einzelne ist, desto einsamer wird er.
Deutlich wird dies an einem bildhaften Beispiel: Wenn wir an eine Expedition zum Nordpol denken, so findet diese – bis auf wenige Ausnahmen – immer im Team, in der Gruppe statt. Doch jede Expedition hat einen Expeditionsleiter, der entscheiden muss, welche Route gewählt wird, welcher Schlafplatz gewählt wird, bis hin zur finalen Entscheidung, ob weiter gemacht oder gar umgekehrt wird.
Oder denken wir an die Schifffahrt und den Kapitän, die Luftfahrt und den Piloten oder im Fußball an den Trainer – einer ist immer der „Bestimmer“. Einer sagt, wo es lang geht. Soweit so gut – zumindest, wenn alles „rund“ läuft bzw. wenn in den Augen anderer „richtig“ entschieden wurde. Dann ist der Entscheider integriert und Teil der Gruppe, dann sprechen wir oft im „wir“.
Einsame Entscheidungen
Aber wehe, wenn es mal nicht so läuft, wenn es unbequem für die anderen wird, wenn nicht alle zufrieden sind, wenn die Führungskraft „falsch“ entscheidet, ist sie plötzlich allein verantwortlich, dann war es nicht mehr „unsere Entscheidung“, sondern „ihre“ – und das macht zwangsläufig einsam.
Das ist ein ambivalenter Aspekt von Führung, der nicht immer angenehm ist, denn die Einsamkeit muss die Führungskraft aushalten können und das jedes Mal, wenn sie eine Entscheidung trifft. Damit umgehen zu können, ist ein Lernprozess für jede Führungskraft. Dieser Lernprozess betrifft im Zuge unserer neuen Arbeitswelten logischerweise auch immer mehr Mitarbeitende.
Mit Verantwortung umgehen lernen
Wenn Mitarbeitende in den neuen Arbeitsmodellen heute und morgen immer mehr Entscheidungen selbstverantwortlich treffen können und sollen, müssen sie zwangsläufig lernen, mit dieser Verantwortung umzugehen. In dem Teilbereich, den sie verantworten, übernehmen sie automatisch die Führung.
Das bedeutet, dass sie mit ihren Entscheidungen manchmal Konflikte aushalten müssen und mit ihren Entscheidungen auch mal allein auf weiter Flur stehen. Dieser Aspekt von Führung lässt sich nicht theoretisch erlernen, weder an der Universität noch im Seminar.
Führen lernt man nur durch Führung
Wodurch lernen wir Führen? Führen lernen wir nur durch Führung und – ganz wichtig – durch das „Geführt werden“.
In der Rolle als Mitarbeitender, der geführt wird, ist es deshalb ein wichtiger Prozess, sich auch die Momente vor Augen zu führen, in denen wir denken „Bin ich froh, dass ich das jetzt nicht entscheiden muss.“ oder „In der Haut meines Chefs möchte ich jetzt nicht stecken, das könnte ich jetzt nicht entscheiden.“
Diese Perspektive ist nicht nur legitim, sondern auch ganzheitlich, denn in diesen Momenten lernen wir, dass Führung einen hohen Anspruch hat, oft unbequem ist und auch einsam macht. Nicht einfach, aber zu akzeptieren. Etwas anderes zu behaupten, würde nur falsche Erwartungen wecken, die zwangsläufig enttäuscht werden müssen.