Am Beginn steht die Begeisterung
Wer kennt das nicht? Der Beginn eines neuen Jobs oder einer neuen Aufgabe, ein spannendes Projekt oder ein neuer Chef, eine neue Beziehung, der Umzug in eine andere Stadt, das neugeborene Baby – der Beginn eines neuen Lebensabschnitts geht mit viel positiver Energie, mit Tatendrang, Zuversicht und Vorfreude einher. Man ist getragen von einer Welle positiver Bilder und hoher Erwartungen und fühlt sich energiegeladen und enorm leistungsfähig.
Nach dem ersten Tief kommen wir in der Realität an. Plötzlich rücken viele Aspekte ins eigene Blickfeld, die unser anfänglich ausgemaltes Idealbild bröckeln lassen. Wir erleben einen Konflikt zwischen dem, was wir selbst brauchen und dem, was unser Umfeld von uns fordert. Dieser Konflikt zwischen eigenen Bedürfnissen und äußeren Anforderungen verursacht Stress. Wichtig dabei ist: Nicht jede Situation ist für jede Person gleich stressig. Es geht um das eigene Empfinden, wie der jeweilige Mensch individuell das Gleichgewicht zwischen Innen und Außen erlebt.
Doch die Gewöhnung an die neue Situation kostet sehr viel Energie. Das wird meist in der Phase der Anfangseuphorie unterschätzt. Nach einigen Wochen lässt die Leistungsfähigkeit nach. Das ist ganz normal. Wir haben zyklische Leistungskurven von 8-12 Wochen. Wir haben immer Phasen, in denen wir mehr oder weniger aufnahme- und leistungsfähig sind. Um in den Tiefphasen dennoch dieselbe Leistung zu erbringen wie in den Hochphasen, benötigen wir deutlich mehr Energiereserven. Kurzfristig funktioniert das – langfristig nicht. Denn die Regenerationsphasen, in denen wir nicht unser normales Leistungsniveau erreichen, sind enorm wichtig zum Auftanken unserer Energiereserven und zur Erhaltung unserer langfristigen Leistungsfähigkeit und Gesundheit.
Was wir brauchen ist ganz einfach. Kleinkinder verraten uns viel über die menschlichen Grundbedürfnisse, da sie diese so ungehemmt äußern: Neben Schlaf und Essen brauchen sie Sicherheit, Geborgenheit und menschliche Zuneigung, Raum zum Erforschen und Gestalten zum Ausdruck ihrer eigenen Individualität. Diese Bedürfnisse bleiben im Laufe des Lebens gleich. Als Erwachsene haben wir jedoch gelernt, uns anzupassen und Kompromisse einzugehen. Dies ist wichtig, damit gesellschaftliches Zusammenleben funktioniert – gleichzeitig bedeutet dies auch, dass wir gut darin sind, wichtige, tief verwurzelte Grundbedürfnisse zu unterdrücken. Doch in welchem Maße ist dies eigentlich notwendig und gesund? Erwachsene brauchen wie Kinder Entwicklungs- und Gestaltungsmöglichkeiten, Feedback und Anerkennung zur eigenen Arbeit und Leistung. Das gibt Sicherheit. Wenn dies im Umfeld nicht gegeben ist, gerät das Gleichgewicht zwischen innen und außen aus den Fugen. Das führt dann oftmals zu ungesunden Anpassungen – denn die meisten Menschen passen sich eher dem Umfeld an und geben ihre persönlichen Bedürfnisse auf.
Der kritische Moment der ersten Sinnkrise
Werden diese wichtigen Grundbedürfnisse nicht erfüllt und die eigene Leistung nicht gesehen und nicht anerkannt, sinkt die Motivation und es kommt zu einem Verlust der eigenen Wirkungsfähigkeit und damit des Selbstvertrauens. Enttäuschung und Desillusionierung entstehen. Gerade wenn die Euphorie und Vorfreude zu Beginn so deutlich ausgeprägt waren, fällt es schwer, sich einzugestehen, dass die Situation nicht so ideal ist, wie erwartet.
Zweifel am eigenen Urteilsvermögen und dem eigenen Wertesystem können aufkommen. Die erste Sinnkrise ist erreicht. Wenn an dieser kritischen Stelle positive Veränderungen geschaffen werden, kann eine weitere negative Entwicklungsspirale durchbrochen werden.
Fehlende Sinnhaftigkeit führt zu innerer Leere
Was aber, wenn trotz all der Warnsignale nicht gehandelt wird und die eigenen Bedürfnisse ignoriert werden?
Viele Menschen versuchen dann weiter, sich zusammen zu reißen, nach außen hin zu „funktionieren“ und weiterhin dieselbe Leistung zu erbringen. Sie gehen über ihre eigenen Grenzen hinweg und zehren damit ihre Energiereserven immer leerer. Oder sie sitzen ihre Arbeitszeit nur noch ab und entfernen sich auf diese Weise immer weiter von sich selbst.
Die fehlende Sinnhaftigkeit führt zu innerer Leere, die unbefriedigten Bedürfnisse zu „emotionalem Hunger“. Alkohol, übermäßiges Essen, übertriebenes Treiben von Sport oder übermäßiges Arbeiten etc. sind dann teilweise Kompensationsmittel, die helfen, diese Leere zu füllen. So halten wir uns künstlich aufrecht und laufen weiter auf Hochtouren. Quälende Gedanken fokussieren uns auf das Negative. Beziehungen und Freundschaften werden dadurch stark belastet – teilweise ziehen sich Menschen von uns zurück oder wir wenden uns ab. Ausgelaugtsein und Gleichgültigkeit machen sich breit. Wer bin ich? Was soll ich tun? Es herrscht ein Gefühl von Erschöpfung und Sinnentleerung.
Warnsignale frühzeitig erkennen
Ein solcher Verlauf findet so nicht nur in der Arbeitswelt statt. Und Burnout ist nicht lediglich das Resultat von zu viel Arbeit! Der Begriff wird häufig falsch verwendet, um einen körperlichen Erschöpfungszustand zu beschreiben. Doch Burnout ist eine tiefe Sinn- und Identitätskrise nach enttäuschten Erwartungen. Sie ist viel komplexer und beginnt viel früher als die letztendliche Totalerschöpfung, die diese Krise nach außen hin sichtbar werden lässt.
Auch Mütter mit einem Neugeborenen, der Umzug in eine andere Stadt oder der Beginn einer neuen Beziehung – jede neue Situation, die wir mit Begeisterung und gesteigerten Erwartungen angehen, birgt gleichzeitig ein Risiko, enttäuscht zu werden, weil möglicherweise die Realität mit den eigenen Idealvorstellungen nichts zu tun hat.
Entscheidend ist, sich hier bewusst zu machen, dass die eigenen Gedanken und hohen Erwartungen zur Entwicklung dieses Zustands beigetragen haben. Und die eigenen Gedanken sind beeinflussbar! Sich das bewusst zu machen schafft den wesentlichen Anhaltspunkt für Veränderung.
Wichtig ist, dass wir genau hinschauen, wenn wir uns über einen längeren Zeitraum in Situationen befinden, die sich nicht gut anfühlen, die uns unzufrieden, traurig und demotiviert stimmen. Bauch- und Rückenschmerzen sowie Schlaflosigkeit sind dann oft wichtige Warnsignale und Hilferufe des Körpers. Auch für Gedanken wie „Wenn ich mich zusammenreiße, geht’s schon“ sollten wir aufmerksam sein. Reagieren wir früh genug auf diese Signale, haben wir die Chance, unser Umfeld rechtzeitig zu verändern und unser Vertrauen in unsere eigenen Fähigkeiten zu stärken.