Stress als Statussymbol
„Wie geht es dir?“ – „Gut, nur etwas gestresst.“ Eine typische Antwort auf die Frage nach dem Wohlergehen. Stress, Überlastung, Druck – das kennt fast jeder.
Doch ist Stress nicht auch ein Statussymbol? Stress verweist auf ein hohes Maß an Aktivität, ein anspruchsvolles Berufsleben, einen großen Freundeskreis. Der Umkehrschluss ist: Wer nicht gestresst ist, hat ein langweiliges Leben.
Nach einem intensiven Arbeitstag mit anspruchsvollen Themen, Entscheidungen, Gesprächen und Meetings geht es abends im gleichen Takt weiter – denn nach den vielen entbehrungsreichen Monaten ist jetzt wieder alles möglich: Schnell noch ins Fitness-Studio, zum Fußball oder zum Yoga-Kurs, etwas Gesundes kochen oder ein gemeinsamer Restaurant-Besuch, sich im Weltgeschehen auf den aktuellen Stand bringen, noch etwas inspirierendes Lesen und auf die Nachrichten der Freunde reagieren. Zum Tagesabschluss vor dem Zubettgehen noch ein kurzes Achtsamkeitstraining. Wer dann trotzdem noch gestresst ist, ist selbst Schuld.
„Faul sein ist wunderschön…“
Zeit zur Erholung hat viele Begriffe: Nichtstun, Freizeit, Selfcare, Chillen und natürlich Muße. Faulsein ist ein weniger attraktiver Begriff. Was für Pippi Langstrumpf selbstverständlich ist, ist in unserer Gesellschaft negativ besetzt. Wer möchte schon von sich sagen, dass er gerne faul ist? Faules Obst landet in der Biotonne.
Viele Menschen können nicht mehr faulenzen – selbst dann nicht, wenn sie Zeit dafür haben. Sie können nicht faul sein, weil sie immer ein schlechtes Gewissen haben, dass sie etwas nicht tun, was sie eigentlich erledigen sollten. Darin steckt ein kulturell tief verankerter Glaubenssatz: Wenn ich nichts leiste, bin ich wertlos.
Trotzdem hat sich in den letzten Jahren ein Muße- und Erholungs-Hype entwickelt. Aber nicht, weil die Menschen besser genießen können. Sondern weil die Kultur des Leistens und Schaffens eine Gegenbewegung hervorbringt, die jedoch in Wirklichkeit gar keine ist. Hinter der Bezeichnung Selbstfürsorge verbirgt sich oft ein aktives Ausruhen, das gestaltet wird, damit wir hinterher noch besser funktionieren. Es gibt Ratgeber, die beim Faulsein, Erholen und Nichtstun helfen wollen und Apps, die ans Pausemachen erinnern. Willkommen im 21. Jahrhundert: Erholung ist jetzt ein To-do, ein Selbstoptimierungstool. Damit ist Erholung streng genommen keine Muße mehr, denn Muße hat keinen Zweck…
Bedürfnisse wahrnehmen
Wichtig ist, die eigenen Bedürfnisse nach Muße und Erholung im Blick zu haben. Was tut mir gut? Was passt zu mir? Feste Rituale können dabei helfen. Sie strukturieren den Alltag und geben Stabilität. Dazu gehört auch, sich die eigenen kleinen und großen täglichen Rituale bewusst zu machen und jeweils zu überprüfen: Tut mir dieses Ritual noch gut? Trägt es zu meinem Wohlergehen bei? Oder entsteht durch das Einhalten des Rituals Stress in meinem Tagesablauf?
Beispiel: Das morgendliche Zeitung-lesen mag informativ sein, aber möglicherweise auch stressen – zu viele Themen, die die positive Stimmung zum Tagesbeginn trüben. Sofern die Energie für Sport am Abend nicht da ist, kann stattdessen der Tag mit einer kurzen Sport-Einheit beginnen. Oder auch einfach mit Tee oder Kaffee trinken und nichts tun. Eigentlich ist Erholung einfach. Es reicht, nichts zu tun. Auch nichts tun kann ein Ritual sein. Einfach da zu sein und Löcher in die Luft zu starren.
Auch aktive Tätigkeiten wie Gartenarbeiten, basteln, werkeln oder lesen können im Alltag für Erholung sorgen. Das Abtauchen und Vertiefen in eine Sache, die Freude macht und uns in einen Flow-Zustand bringt. Etwas, das nur für uns selbst ist und unseren ganz persönlichen Wünschen und Bedürfnissen entspricht – unabhängig von den Erwartungen anderer. Denn Muße und Erholung hat etwas mit Freiheit und Selbstbestimmung zu tun.
Wir freuen uns, wenn Sie unseren Blog teilen – vielleicht schafft er ja ein bisschen Muße oder Erholung im Alltag eines Kollegen oder Freundes!