Wenn es nicht nach Plan läuft
Wir stehen im Stau, sitzen auf einem Bahnhof oder müssen in einem Zug ausharren. Wir würden am liebsten ausrasten, uns beschweren oder weinen. Wir müssen warten. Und warten nervt, weil alles plötzlich nicht mehr nach Plan läuft. Wir kommen zu spät zu einem Termin oder wir sehen unsere Familie oder Freunde nicht. Und wir können nichts tun, um die Situation zu verändern.
Schuld ist ein gewaltiges Sturmtief, und das macht sich weder etwas aus Zeitplänen noch aus Gefühlen. Also bleibt uns nichts anderes übrig, als uns mit dem Warten anzufreunden. Leichter gesagt als getan.
Doch Warten muss nicht immer schlecht sein, denn eigentlich bekommen wir Zeit geschenkt. Diese können wir natürlich mit unserem Smartphone verbringen und – wenn wir alle Nachrichten verschickt und gelesen, alle Social-Media-Kanäle und Nachrichtenseiten gecheckt und alle Fotos sortiert haben – mal wieder Quizduell spielen.
Wenn wir richtig Glück haben, ist unser Akku leer oder unser schnelles Datenvolumen schon aufgebraucht, dann können wir unser Smartphone ruhigen Gewissens beiseitelegen. Genießen wir es, nichts zu tun und uns – und das ist das Beste – dafür nicht rechtfertigen zu müssen. Verstehen wir das Warten als kreative Pause, in der unser Leben verschnaufen kann.
Bewusst ineffizient sein und Zeit mit Freude vertrödeln
Unsere Agenda hat sturmfrei. Freuen wir uns darüber. Die Zeit ist ohnehin verloren, jetzt können wir sie mit Freude vertrödeln. Wie damals in den großen Sommerferien, als uns sechs Wochen wie ein halbes Leben vorkamen. Die Zeit hatte noch eine andere Dimension, sie musste nicht strukturiert und effizient genutzt werden. Sie konnte mit Kirschkernspucken und Wasserbombenwerfen, mit Freundschaftsbändchen knüpfen und Blumenkränze basteln verbummelt werden.
Kehren wir die Effizienz um, während wir warten müssen: Anstatt die Zeit sinnvoll zu nutzen, verschwenden wir sie. Wir können Rollkoffer zählen, uns die Fusseln vom Pullover zupfen oder uns über die Sockenmuster anderer Menschen wundern. Wir können Strichmännchen malen, Papierflieger bauen, Kaugummiblasen zum Platzen bringen, Gespräche belauschen und so tun, als würden wir woanders hingucken. Oder wir können Mitwartende kennenlernen.
Träumen und Gedanken ihren freien lauf lassen
Oder wir können innehalten und einfach vor uns hin träumen. Zur Ruhe kommen. Auch zum Träumen und Nachdenken haben wir nun Zeit. Dabei müssen wir nicht zwangsläufig über den Sinn des Lebens, über Karriere oder Zukunft nachdenken. Wenn man wartet, und sich mit dem Warten abgefunden hat, dann brauchen die Gedanken kein Ziel mehr. Sie können wandern, wohin sie wollen, und kommen an ganz anderen Stellen an als sonst.
Denken wir zum Beispiel an Weihnachtsgeschenke – endlich mal rechtzeitig. Worüber würden sich die Verwandten und Freunde wirklich freuen? Oder wir können uns überlegen, wie wir Silvester feiern wollen oder wohin der nächste Urlaub gehen soll. Oder einen Kindergeburtstag planen.
Wann hat man denn sonst Zeit für so was?