Das zeitlose Modell von Joseph Luft und Harry Ingham aus den 50er Jahren
Man könnte meinen, das Johari-Fenster wäre nicht mehr wichtig, aber es ist so aktuell wie eh und je: Es geht im Kern um die Unterschiede zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung. Indem wir unser Selbstbild mit dem Fremdbild regelmäßig abgleichen, erfahren wir mehr über uns und können uns weiterentwickeln.
Das Johari-Fenster besteht aus vier Quadranten, in denen eingeordnet wird, was mir selbst und anderen über meine Persönlichkeits- und Verhaltensmerkmale bekannt bzw. unbekannt ist:
Quadranten: „Was mir und anderen bekannt ist“ und „Was mir und anderen unbekannt ist“
Im ersten Fall handelt es sich um alle Informationen über mich, die sowohl mir selbst als auch anderen Menschen bekannt und bewusst sind. Beispiel: Ich bin häufig derjenige, der in Meetings auf Entscheidungen pocht – das ist allgemein bekannt und wird regelmäßig in Meetings angesprochen. Beim zweiten Fall geht es um Informationen, die weder mir noch anderen bekannt sind. Es kann zum Beispiel sein, dass ich ein ausgezeichneter Zuhörer bin, mir dessen aber nicht bewusst bin und es auch meinen Gesprächspartnern nicht auffällt.
Quadrant: „Was mir bekannt und anderen unbekannt ist“
In diesen Quadranten fällt alles, was mir selbst bewusst ist, anderen aber nicht – also meine „Geheimnisse“. Diese für sich zu behalten, ist sehr anstrengend und kostet viel Energie. Zumindest, wenn sie in der aktuellen Situation relevant sind, z.B. wenn eine Person eine Präsentation hält und ihre Unsicherheit und Nervosität dabei zu verbergen versucht. Oder wenn jemand eine Verhandlung mit einem Kunden führt und dabei Risiken für den Kunden verschweigt, um eine bessere Verhandlungsposition zu sichern.
Aus der Hirnforschung wissen wir, weshalb das „Wahren von Geheimnissen“ so anspruchsvoll ist. Im Gespräch erreichen sehr viel mehr Informationen das Unterbewusstsein des Gegenübers, als bisher gedacht. Die sogenannten Mandelkerne – eine Art Gefühls-Eingangszentrale in unserem Gehirn – registrieren Pheromone, das sind Botenstoffe, die z.B. auf Stress oder Furcht hindeuten. Außerdem werden hier Mikro-Ausdrucksformen, wie schnelles Blinzeln oder eine Verengung der Pupillen verarbeitet, die wir nicht bewusst kontrollieren können.
Diese widersprüchlichen Wahrnehmungen, z.B. bei gespielter Souveränität oder aufgesetzter Freundlichkeit, wirken sehr irritierend auf das Gegenüber. In solchen Fällen verspürt der Gesprächspartner in der Regel wenig Sympathie und Zutrauen, ohne genau benennen zu können, was der Grund hierfür ist.
Dazu kommt, dass diese widersprüchlichen Gehirnaktivitäten sehr viel Energie verbrauchen. Wenn z.B. die Gehirnregion aktiv ist, in der meine echten Gefühle abgebildet werden und ich gleichzeitig etwas dazu Widersprüchliches sage und tue, „überhitzt“ mein Gehirn. Dauerhaft können solche Spannungen zu Beeinträchtigungen der Leistungsfähigkeit und Gesundheit führen.
Sich offen und authentisch zu verhalten führt also nicht nur zu mehr Sympathie und Vertrauen im Miteinander, sondern hält auch noch gesund. Und nicht umsonst heißt es „entwaffnende Ehrlichkeit“ – denn einen Gesprächspartner, der offen mit Schwächen, Risiken und Engpässen umgeht, erleben wir als vertrauensvoll.
Quadrant: „Was anderen bekannt und mir unbekannt ist“
Nicht selten entgehen unsere Eigenarten unserer eigenen Aufmerksamkeit. Sie sind unser „Blinder Fleck“. Das zeigt sich spätestens, wenn wir von einem Kollegen ein ehrliches, ernst gemeintes Feedback erhalten. Dieses Feedback ist so wertvoll, weil es unsere einzige Möglichkeit ist, unsere blinden Flecken zu reduzieren und mehr Einfluss auf unser eigenes Verhalten zu gewinnen. Aber wieso haben wir eigentlich blinde Flecken?
Unser Gehirn erfasst die Realität nicht objektiv, also so, wie sie tatsächlich ist, sondern subjektiv. Unsere Wahrnehmung ist ein Abbild der Welt, das unser Gehirn auf Basis äußerer Reize erschafft. Dabei selektieren wir, denn wenn wir immer alles unvoreingenommen wahrnehmen und verarbeiten würden, wäre unser Gehirn überlastet und wir könnten keinen klaren Gedanken fassen.
Diese Selektion erfolgt auf Basis von Erfahrungen. Unser Gehirn bildet die Realität nur insofern ab, wie es uns bisher dabei geholfen hat, mit ihr klarzukommen. Das heißt, sie hängt davon ab, wie sich unser Gehirn über die Jahre und durch unsere vielfältigen Erfahrungen gebildet und entwickelt hat.
Es gibt also Menschen, die beim Essen laut schmatzen, ohne es zu merken. Weil die Aufmerksamkeit des Gehirns – aus welchen Gründen auch immer – noch nie auf diesen Umstand gelenkt wurde. Genau so gibt es Menschen, die anderen nicht zuhören und ihnen dauernd ins Wort fallen – schlichtweg, weil sie es nicht bewusst wahrnehmen. Weil ihr Gehirn nicht darauf ausgerichtet ist.
Ebenso kommt es häufig vor, dass Menschen die eigenen Stärken nicht wahrnehmen, weil diese für sie normal sind und sie noch nicht in den Fokus ihrer Aufmerksamkeit gerückt sind.
Das Feedback unserer Mitmenschen ist also ungemein wertvoll, weil es uns die Chance gibt, schöne und unschöne Seiten an uns zu erkennen, die unser Gehirn bisher ausblendet. Erst dadurch haben wir die Wahl, uns mit diesen Aspekten zu beschäftigen. Egal, ob wir sie beibehalten oder abstellen wollen.