Haben wir bereits eine Kultur des 2. Blicks?
Kritisches zu hören ist unsere Chance zum Besserwerden. Das ist ohne Zweifel richtig. Trotzdem fällt es oft schwer, es tatsächlich als Geschenk zu verstehen.
Wie gehen wir mit kritischen Rückmeldungen der eigenen Führungskraft um? Wie willkommen ist der gut gemeinte Hinweis oder die Optimierungsidee des Kollegen? Erkennen wir den 2. Blick einer weiteren Person auf unser Arbeitsergebnis als wertvoll und qualitätssteigernd? Ist im Unternehmen eine Kultur vorhanden, die den kritischen Dialog erlaubt und sogar fördert – auch bzw. gerade über Hierarchieebenen und Abteilungsgrenzen hinweg? Gelingt es uns bereits, in Kritik einen Weg zu mehr Effizienz für uns und unser Unternehmen zu erkennen?
Die Bedeutung von Kritik für Unternehmen wird besonders deutlich, wenn wir uns mit dem Aspekt der Prozessorientierung beschäftigen.
Prozessorientierung im Unternehmen
In Organisationen dient die Hierarchie als funktionaler Aufbau, in der Verantwortungen innerhalb der jeweiligen Abteilung klar geregelt sind. Die Anforderungen aus dem Markt nach mehr Schnelligkeit und Flexibilität erfordern zu diesen geregelten Geschäftsprozessen abteilungsübergreifende Prozesse, die sozusagen „quer“ wirken. Das verlangt von allen Beteiligten Prozessorientierung statt „Silodenken“.
Die Prozessorientierung legt, auf der Ebene des gesamten Unternehmens, das Augenmerk auf den (internen oder externen) Kunden und die optimale Erfüllung seiner Anforderungen. Dies kann nur gelingen, wenn abteilungsbezogene Einzelinteressen nicht im Vordergrund stehen. Bei der Prozessorientierung werden durch eine klare Abgrenzung und Abstimmung der verschiedenen Teilprozesse die üblichen Reibungsverluste zwischen Abteilungen überwunden. Der klare Fokus auf die Anforderungen verhindert, dass Schritte vergessen und unnötige oder nicht wertschöpfende Tätigkeiten durchgeführt werden.
Wichtig ist dabei die Transparenz und Visualisierung der Organisation und des Ablaufs. Demnach arbeiten Unternehmen nur dann hocheffizient, wenn die Mitarbeiter die Prozesse detailliert kennen und sowohl bei Prozessdefinitionen als auch bei Optimierungen eingebunden werden. Der 2. Blick ist dabei ein wesentlicher Bestandteil dieses Optimierungsvorgangs.
Der 2. Blick verbessert unsere Ergebnisse und macht uns effizient
Der 2. Blick wird immer dann gelebt, wenn eine Person sich intensiv mit dem Arbeitsergebnis einer anderen Person auseinandersetzt und sich mit ihr zu den eigenen Beobachtungen und Ansichten austauscht.
Wenn ein Mitarbeiter beispielsweise eine Antwort auf eine Kundenbeschwerde verfasst, ist davon auszugehen, dass er sein Bestes bei der Erledigung dieser Aufgabe gibt. Trotzdem wird eine zweite, außenstehende Person wahrscheinlich einen Verbesserungsvorschlag haben – und sei es nur der Hinweis auf einen Rechtschreibfehler. Oft sind wir so in unsere Arbeit vertieft, dass es uns sehr schwerfällt, Unstimmigkeiten zu erkennen und Neues bzw. Anderes zu denken. An dieser Stelle hilft der 2. Blick von außen. Er beschleunigt den Prozess und verbessert das Ergebnis – er macht uns effizient!
Ein Beispiel
Das Marketingteam eines mittelständischen Filialunternehmens arbeitet aktuell an einem Aktionskalender. Jeden Monat soll den Kunden etwas Spannendes geboten werden, um die Frequenz zu steigern und neue Stammkunden zu gewinnen. Das Marketingteam lädt die Filialleiter zu einer kurzen Besprechung ein, um ihnen den ersten Entwurf des Aktionskalenders vorzustellen. Bei dem Meeting stellt sich heraus, dass das Konzept aus Verkaufssicht optimierungsbedürftig ist. Die geplanten Aktionen erfordern einen Personaleinsatz, der mit dem aktuellen Ziel des Überstundenabbaus nicht vereinbar ist. Nach dem kritischen und anregenden Gespräch sind viele Ideen überarbeitet, andere verworfen und neue hinzugekommen. Der Austausch hat sich gelohnt. Das Marketingteam hat durch das Einholen des 2. Blicks wertvolle Hinweise erhalten und darüber hinaus eine gute Ausgangsbasis dafür geschaffen, dass die Verkaufsmitarbeiter die Aktionen wie geplant umsetzen.
Besonders wertvoll ist der 2. Blick an unseren Schnittstellen
Das Prinzip des 2. Blicks können wir uns insbesondere hinsichtlich der Prozessorientierung im Unternehmen zu Nutze machen. Ein intensiver Austausch an den Schnittstellen sorgt dafür, dass das Ergebnis mit jedem 2. Blick einer weiteren Abteilung gesteigert und verbessert werden kann und so Teilprozesse den Gesamtprozess unterstützen und effizient machen, anstatt ihn zu behindern. Der 2. Blick an den Schnittstellen ist auch deshalb besonders wertvoll, weil die angrenzenden Abteilungen mit den gemeinsamen Zielen vertraut sind und einschätzen können, welche Wirkung bzw. Auswirkung einzelne Handlungen und Entscheidungen auf den weiteren Prozess haben können.
Wir profitieren von einer gelebten Kultur des 2. Bicks
Der 2. Blick bietet die Chance, dass sich Kritikfähigkeit der Menschen im ganzen Unternehmen erhöhen, weil sich die Kritik nicht mehr aus der Macht (Hierarchie) ergibt, sondern der Ergebnis- und Qualitätssteigerung des Unternehmens dient.
Die Mitarbeiter fühlen sich zu 100 % verantwortlich in der Zusammenarbeit und wollen das Beste für die Ergebnisse an den jeweiligen Schnittstellen. Sie erleben mehr Freude an der Arbeit und Stolz, weil sie den Erfolg für das Gesamte sehen.
Sie denken in Prozessen und deren Sinn, statt in Abteilungen und Hierarchien.
Die funktions- und abteilungsübergreifende Kommunikation wird angeregt und der Informationsfluss innerhalb des Unternehmens verbessert.
Wie gelingt es uns eine Kultur des 2. Blicks im Unternehmen zu schaffen?
Wir können Voraussetzungen und Strukturen schaffen, die die abteilungsübergreifende Kommunikation fördern. Dazu gehört unter anderem, den Mitarbeitern aufzuzeigen, welchen Nutzen der 2. Blick und die Prozessorientierung im und für das Unternehmen haben und welche Anforderungen an den Einzelnen, insbesondere in der Schnittstellenarbeit, damit verbunden sind.
Ein weiterer Ansatzpunkt kann die Gestaltung von Zielvorgaben sein. Oft fördert die interne Organisation ein Abteilungsdenken, wenn es nur funktionsbezogene Abteilungsziele gibt, aber keine abteilungsübergreifenden Vorgaben. Wenn ein Teil der Incentives und erfolgsabhängigen Bezahlung vom Gesamtergebnis des Unternehmens abhängt, wächst in der Regel das Interesse daran, auch die andere Abteilung in ihrer Leistungsfähigkeit zu unterstützen.
Eine Kultur des 2. Blicks braucht Strukturen und Vorbilder
Grundvoraussetzung dafür, dass nicht nur Informationen ausgetauscht, sondern kritische Gespräche zu Arbeitsergebnissen geführt werden, ist, dass wir auf der Management- und Führungsebene den kritischen Dialog aktiv leben und damit vorleben. Wenn unsere Mitarbeiter erleben, dass wir Kritik hierarchieübergreifend aktiv einfordern und den 2. Blick von Kollegen und Mitarbeitern hören wollen, dass wir uns über ehrliche Rückmeldung freuen, nachfragen, um zu verstehen, uns für den 2. Blick bedanken und ihm Taten folgen lassen, dann öffnen wir die Tür für weiteren Austausch im Unternehmen.