Ego – is – muss?
Führungskräfte haben durch ihre Rolle die Macht, Entscheidungen zu treffen. Dabei betrachten die Menschen im Unternehmen jedoch stets kritisch, ob eine Führungskraft nur ihre eigenen Interessen durchsetzt oder ob ein echter Nutzen für das Unternehmen bzw. das System entsteht. Egoistisch anmutende Beweggründe sind schnell Anlass für Vertrauensverlust.
Die extreme Ausprägung von Egoismus oder gar Narzissmus ist in unserer Gesellschaft sehr negativ assoziiert. Übertriebenes Streben nach Selbstdarstellung und nach Anerkennung der eigenen Leistung geht oft mit einem fehlenden Gefühl für die Bedürfnisse anderer und einem Mangel an Empathie einher.
Gleichzeitig weist die jüngere Forschung darauf hin, dass Narzissten emotional stabil, mit sich selbst und ihrem Leben zufrieden und an ihre Lebenssituation gut angepasst seien. Diese Merkmale sind in den Zeiten von Selbstliebe und Achtsamkeit jedoch sehr positiv belegt. Wie passt das zusammen?
Wir erleben immer wieder erfolgreiche Menschen, die man durchaus als narzisstisch bezeichnen kann. Aus Sicht der Forschung gibt es noch keine klare Antwort, ob Menschen mit diesen Tendenzen tatsächlich häufiger Führungskräfte sind und ob das ihre Führung negativ oder positiv beeinflusst.
Ist es wirklich nur negativ oder auch vorteilhaft, hier und da etwas narzisstisch zu sein? Die Antwort ist: Das kommt darauf an!
Die Dosis macht das Gift
Narzissmus kann sehr destruktiv sein, wenn der betreffende Mensch sich rücksichtslos und eigennützig verhält. Wenn die Aufwertung der eigenen Person über die Abwertung anderer Menschen stattfindet, wird die Zusammenarbeit erschwert. Die Kollegen leiden unter diesem Verhalten – ohne, dass der narzisstisch handelnde Mensch sich seiner Wirkung bewusst ist.
Aber: Ego in Maßen kann auch von Vorteil sein, denn Menschen mit diesem Wesenszug können durchaus inspirierend und risikofreudig sein und andere mitreißen und begeistern. Sie haben oft innovative Gedanken und trauen sich Veränderungen umzusetzen. Das wiederum kann sie zu sehr wirksamen Führungskräften machen, die voran gehen, die Dinge positiv vorantreiben und „pushen“, weil sie über ein gewisses Maß an Furchtlosigkeit verfügen. Gepaart mit den oben genannten positiven Aspekten von Narzissten kann hieraus eine sehr hohe Wertschöpfung entstehen.
Eines dürfen wir nicht vergessen: Auch zu wenig Ego kann schädlich sein. Denn ein Mensch, der sich selbst meist zurücknimmt und leicht zu verunsichern ist, ist immer wieder auf stärkere Egos angewiesen, die voran gehen und sich trauen. Daraus resultiert, dass andere dann häufig die Verantwortung übernehmen müssen, Entscheidungen forcieren müssen – und damit ist am Ende auch niemanden geholfen.
Erfolgreiche Organisationen brauchen Menschen, die Verantwortung übernehmen, Entscheidungen treffen und die nächsten Schritte definieren. Und dafür ist Ego oft ein wichtiger Antreiber. Eine entscheidende Voraussetzung ist, dass Menschen mit viel Ego reflektiert und offen für die Anregung und Kritik von außen sind, dass sie bereit sind, auch einmal „zurück zu rudern“, Fehler einzugestehen, den Input von außen ernst zu nehmen und ihr Verhalten zu überdenken. Keine leichte Übung, aber nur das ermöglicht das gute Mittelmaß in Sachen Ego.