Neuer Job, neue Aufgabe
Ein Beispiel: Frau Bergmann hat vor einigen Wochen intern den Bereich gewechselt. Auf die Frage, wie sie die Abstimmung mit einem Lieferanten gestalten soll, bekommt sie von ihrer Kollegin die Antwort: „Dazu haben wir eine detaillierte Ablaufbeschreibung.“ Das ist in jedem Fall hilfreich. Doch Prozess- und Ablaufbeschreibungen können auch eine „Falle“ sein.
Bei der Einarbeitung neuer Kollegen passiert es oft, dass lediglich Abläufe oder Prozesse in Form von einzelnen Handlungsschritten gelesen und besprochen werden. Insbesondere in der Einarbeit und Zusammenarbeit auf Distanz. Dabei gerät jedoch etwas Wesentliches aus dem Fokus: die Vermittlung von Hintergründen und Erfahrungen. Die Berichte über Sonderfälle und mögliche Stolpersteine. Diese bilden eine elementare Wissensgrundlage und schaffen einen Denkrahmen für mögliche Wege und anstehende Entscheidungen. Die Dokumentation von Prozessen reicht dafür nicht aus. Prozess- und Ablaufbeschreibungen sind wichtig, aber sie beinhalten in der Regel kaum tiefes Wissen.
Es geht nicht ohne Wissen
In den Unternehmen werden verstärkt Kompetenzen wie Agilität, Kreativität, Kommunikationsfähigkeit, Kollaboration und kritisches Denken gefordert. Von Wissen ist oft gar nicht mehr die Rede. Es scheint fast so, dass Wissen in den vergangenen Jahren an Wichtigkeit verloren hat. Wozu braucht man denn überhaupt noch Wissen, wenn doch alle Informationen der Welt mit wenigen Maus-Klicks verfügbar sind?
Wissen ist aber nicht gleichzusetzen mit Informationen. Wissen entsteht durch Informationen, die Menschen gehört oder gelesen haben und die sie durch ihre Erfahrungen in einen Kontext gebracht, also in ihrem Inneren vernetzt haben.
Damit Mitarbeitende zum Beispiel serviceorientiert denken und handeln, müssen sie wissen, was dieser facettenreiche Begriff konkret im Unternehmen bedeutet. Eine Definition in den Verhaltensregeln des Unternehmens kann dies nicht leisten. Erforderlich dazu ist eine möglichst vielfältige Auseinandersetzung und ein intensiver Austausch anhand von konkreten Situationen. Denn dieser schafft einen sensibilisierten und differenzierten Blick und sorgt für eine kontextbezogene Einordnung von Wissen.
Damit ein Mitarbeitender in der Textilindustrie versteht, worauf es im Abstimmungsprozess mit dem Lieferanten ankommt, reicht es nicht, die Ablaufbeschreibung zu lesen. Der Mitarbeitende muss ein konkretes Bild der Produktionsstandorte haben, die Produktbeschaffenheit unterschiedlicher Baumwollarten kennen, die Varianten der Wasserbeschaffenheit an den unterschiedlichen Produktionsstätten und die damit verbundene Auswirkung auf die Färbung der Materialien berücksichtigen etc.. Kurz: Es braucht sehr detailliertes Wissen.
Fortschreitende Spezialisierung führt zu „Kopfwissen“
Unsere Welt wird stetig komplexer. Die Anforderungen an Prozesse und Aufgaben steigen und somit auch das benötigte Spezialwissen. Mitarbeitende werden mehr und mehr zu Experten ihres Faches. Dadurch entsteht „Kopfwissen“, d.h. Wissen, das nur auf einen oder wenige Menschen verteilt ist. Dies ist für Unternehmen gefährlich, denn wenn diese Menschen das Unternehmen verlassen, ist auch das Wissen weg.
In einer „perfekten“ Welt liefe es wie folgt: Ein Kollege scheidet aus dem Unternehmen aus, aber sein Wissen bleibt im Unternehmen für immer verfügbar. Oder ein Mitarbeitender lernt etwas dazu und gleichzeitig wissen auch alle anderen Kollegen um diese Erfahrung bzw. das Gelernte.
Um Wissen abzusichern, arbeiten viele Unternehmen bereits mit Wissensmanagementsystemen in Form von internen Datenbanken wie Wikis oder Blogs. Dies ist sinnvoll und kann sicherlich einen Teil des Kopfwissens breiter verteilen. Wichtig ist, dass es kontinuierlich gepflegt und auf Aktualität geprüft wird, denn oftmals verkommen diese Datenbanken auch zu Datenfriedhöfen.
Hintergründe und Erfahrungen sind nur über Gespräche transportierbar
Leider ist Wissen jedoch nicht in Gänze digitalisierbar. In einer Wissensdatenbank kann nur das explizite Wissen abgespeichert werden. Damit ist Faktenwissen gemeint, Anleitungen, Dokumentationen, Prozess- und Ablaufbeschreibungen, die eindeutig kommunizierbar sind.
Kein Tool der Welt kann jedoch implizites Wissen dokumentieren. Damit ist gemeint, dass jemand weiß, wie etwas geht, ohne dass es ihm bewusst ist oder er es erklären kann. Es basiert auf Erfahrungen und Erinnerungen. Sein Wissen zeigt sich in seinem Handeln und Können. Wie schaffen wir es, den Transfer dieses impliziten Wissens, des Könnens, der Erfahrungen bei einer Zusammenarbeit auf Distanz zu retten?
Hier ist das persönliche Gespräch der einzige Weg, diese Erfahrungswerte zu transportieren. Wichtig ist, dass wir uns bewusst die Zeit nehmen, die vielen Aspekte, die in eine Handlung oder Entscheidung einfließen – die eigenen Gedanken, Intuitionen und Erinnerungen – in Worte zu fassen. Dass wir nach einem Telefonat mit einem wichtigen Ansprechpartner immer kurz reflektieren, welche konkreten Informationen zum Kontext, Hintergründe und Erfahrungen die Kollegin, die sonst im selben Büro gesessen und das Gespräch teilweise mitgehört hat, nun in ihrem Homeoffice aktiv bekommen muss. Wenn Mitarbeitende dies im Blick haben und ihr Wissen und Können weitergeben, kann ein Unternehmen langfristig erfolgreich sein.
Wir freuen uns, wenn Sie unseren Blog teilen und so dafür sorgen, Wissen und Können weiter zu verbreiten!